Philosophie der Autonomie

  1. Grundprobleme der Autonomie

Autonomie ist ein Begriff, der in ganz verschiedenen Kontexten gebraucht wird. Er kann sowohl für individuelle Freiheitsrechte (etwa „Patientenautonomie“) wie auch für kollektive Unabhängigkeit (etwa eine „autonome Republik“) verwendet werden. Gewöhnlich wird „Autonomie“ im Sinne von „Selbstbestimmung“ verstanden. Das ist zwar nicht falsch, doch verwischt dieses Verständnis den normativen Charakter von Autonomie, was wörtlich „Selbst-Gesetzgebung“ bedeutet. Hier stellen sich nun drei grundlegende Fragen:

(1) Was ist das für ein Selbst, das sich da ein Gesetz gibt? (Subjektivitäts-Problem)
(2) Was ist das für Gesetz, das sich das Selbst gibt? (Normativitäts-Problem)
(3) Wie gibt sich das Selbst ein Gesetz? (Legislations-Problem)

Zu (1): Das Subjekt der Autonomie kann entweder individuell (z.B. als menschliche Person) oder kollektiv (z.B. als Gesellschaft oder Staat, der aus Menschen besteht) gedacht werden. Hier stellt sich die Frage, welche Form von Subjektivität vorgängiger ist: Wird individuelle Autonomie analog zu kollektiver Autonomie oder kollektive Autonomie analog zu individueller Autonomie gedacht?

Zu (2): Das Gesetz, das sich ein Subjekt gibt und dem es sich unterwirft, ist als solches bindend. Woher aber besitzt das Gesetz seine bindende Kraft? Ist es sozial konstruiert oder existiert es unabhängig von sozialer Konstruktion? Ist es ein moralisches Gesetz, das unsere Willensbildung betrifft, oder ist es ein rechtlich/politisches Gesetz, das nur unsere Handlungen betrifft?

Zu (3): Autonomie ist nicht nur ein Zustand, in welchem ein Subjekt unter einem Gesetz steht, sondern ein Prozess, durch den sich ein Subjekt einem Gesetz unterwirft, das es sich selbst gibt. Hier lassen sich zwei Weisen der Gesetzgebung unterscheiden: Entweder das Subjekt unterwirft sich dem Gesetz, oder es identifiziert sich damit. Wenn Autonomie so verstanden wird, dass sich ein Subjekt erst durch seine Autonomie konstituiert, dann stellt sich das sogenannte „Paradox der Autonomie“: Wie kann ein Subjekt sich überhaupt ein Gesetz geben, wenn es erst zu einem Subjekt (von lat. „subiectum“ – das Unterworfene) wird, nachdem es unter einem Gesetz steht? Wie kann ein Subjekt als autonom verstanden werden, wenn es sich in der Autonomie doch gerade an ein Gesetz bindet und von diesem determiniert wird? In welchem Verhältnis müssen dann Subjekt und Gesetz stehen, damit ihr Verhältnis im Sinne von Autonomie als Freiheit gedacht werden kann? Inwiefern kann ein Subjekt heteronom sein? Kann es sich selbst autonom ein heteronomes Gesetz geben? Betrifft Autonomie nicht nur unser Handeln, sondern auch unser Denken?

  1. Thomas Hobbes

In seiner Schrift Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiasticall and Civil aus dem Jahr 1651 bestimmt Hobbes den Naturzustand als „Krieg eines jeden gegen jeden“. Durch eine bestimmte Gesellschaftsform und Gesetzgebung soll erreicht werden, dass dieser Zustand verlassen werden kann. Dazu gilt es, „den Willen jedes einzelnen durch Stimmenmehrheit zu einem einzigen Willen [zu] machen“. Diese „gemeinsame Macht“ vertritt diejenigen, die ihr ihre Macht übertragen haben. Es herrscht hier das Verhältnis der Stellvertretung, so dass die Menschen „ihren Willen seinem Willen und ihr Urteil seinem Urteil unterwerfen“ (145). Hobbes argumentiert dafür, dass diese „gemeinsame Macht“ „mehr als Zustimmung oder Eintracht“ ist: „es ist eine wirkliche Einheit von ihnen allen in ein und derselben Person“. Es handelt sich bei dem so geschaffenen Staat also um eine kollektive Person, die durch Verträge konstituiert wird, nicht um einen losen Verbund von Menschen. Der Leviathan ist eine Kollektivperson, kein Personenkollektiv. Die Relation, die diese Kollektivperson konstituiert, ein „Vertrag eines jeden mit jedem“, der so verfasst ist, „als ob jeder zu jedem sagte: Ich gebe diesem Menschen oder dieser Versammlung von Menschen Ermächtigung und übertrage ihm mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, daß du ihm ebenso dein Recht überträgst und Ermächtigung für alle seine Handlungen gibst.“ Die konstituierende Relation ist also die Institution des gemeinsamen gegenseitigen Versprechens. In der gegenwärtigen Debatte hat Margaret Gilbert von einem „joint commitment“ gesprochen, das „plural subjects“ konstituiert. Die Einheit der Kollektivperson ist jedoch bei Hobbes dadurch bedroht, dass sie nur durch „Stimmenmehrheit“ erreicht wird. Dies bedeutet, dass eine Minderheit sich immer der Mehrheit fügen muss. Doch muss sich diese Minderheit zuvor damit einverstanden erklärt haben, dass sie sich im Falle einer Niederlage dem Willen der Mehrheit fügt. So wird diese Minderheit durch die Kollektivperson zwar nicht direkt, aber immerhin indirekt vertreten, indem sie sich mit ihren formalen Konstitutionsbedingungen, nicht aber mit ihrem Inhalt einverstanden erklärt hatte.