Wir haben in der Sitzung Frankfurts Text (1) über Willensfreiheit und Person zu Ende diskutiert und sind dann in der zweiten Hälfte auf seinen Text (2) über alternative Handlungsmöglichkeiten zu sprechen gekommen.
Frankfurt unterscheidet in Text (1) zur Analyse seines Person- und Freiheitsbegriffs zwei Arten von Drogensüchtigen. Der Drogensüchtige D1 besitzt auf der Ebene von Wünschen erster Stufe die sich entgegensetzten Wünsche A: Drogen zu nehmen und B: Drogen nicht zu nehmen. Von einer zweiten Stufe aus hat er den Wunsch C ausgebildet, dass B handlungswirksam werden möge, so dass C eine Volition zweiter Stufe ist. D1 will jedoch vergeblich, dass Wunsch B sein Wille sei, und unterliegt schließlich dem stärkeren Wunsch A. Der Drogensüchtige D2 hingegen hat keine Präferenzen gegenüber seinen Willenstendenzen erster Stufe. Er folgt einfach dem stärkeren Wunsch und bedenkt seinen Willen nicht. Er leidet auch nicht darunter, Drogen zu wünschen. Frankfurt vertritt die These, dass D1 eine Person ist, obwohl er schließlich von seiner Drogensucht übermannt wird, und zwar deswegen, weil für D1 der Wille zu einem Problem wird. Frankfurt betont, dass die Volitionen zweiter Stufe nicht moralischer Art sein müssen, auch wenn sie eine gewisse normative Orientierung oder Präferenz aufweisen.
Willensfreiheit ist nach Frankfurt analog zu Handlungsfreiheit zu verstehen. So wie Handlungsfreiheit bedeutet, tun zu können, was man will, so bedeutet Willensfreiheit, wollen können, was man wollen möchte. Offen bleibt die Frage, ob man, um willensfrei zu sein, auch handlungsfrei sein muss, ob also Willensfreiheit die Verwirklichung des Willens impliziert. Jedenfalls scheint Handlungsfreiheit nicht Willensfreiheit zu implizieren.
Zu Text (2): Das Prinzip der alternativen Möglichkeiten besagt, dass man nur dann moralisch verantwortlich für das ist, was man getan hat, wenn man auch anders handeln konnte. Frankfurt erläutert: „This principle [= the principle of alternate possibilities] states that a person is morally responsible for what he has done only if he could have done otherwise“ (S. 829). Wenn man also nicht anders handeln konnte als man gehandelt hat, dann ist man nach dem Prinzip der alternativen Möglichkeiten auch nicht moralisch verantwortlich für das, was man getan hat.
Nach dem Prinzip der alternativen Möglichkeiten ist man zum Beispiel nicht für einen Mord verantwortlich, den man begangen hat, wenn man diesen Mord begehen musste (und deshalb nicht anders handeln konnte). Stellen wir uns zum Beispiel vor, dass man nicht anders konnte als diesen Mord zu begehen, weil man dazu genötigt oder gezwungen wurde, den Mord zu begehen, oder weil man unter Drogeneinfluss stand. Wenn die Nötigung, der Zwang oder der Drogeneinfluss wirklich dazu geführt haben, dass man nicht anders handeln konnte, dann, so das Prinzip der alternativen Möglichketen, ist man für sein Handeln auch nicht moralisch verantwortlich.
Harry Frankfurt argumentiert allerdings dafür, dass dieses Prinzip falsch ist. Um zu verstehen, warum Frankfurt dieser Ansicht ist, stellen wir uns einmal vor, dass ein Student aus reiner Faulheit beschließt, eine wichtige Vorlesung zu schwänzen. Und nehmen wir außerdem an, dass (ohne dass der Student das weiß) aufgrund schlechter Wetterbedingungen alle S-Bahnen in München ausfallen und der ganze Stadtverkehr lahmgelegt ist, sodass der Student gar nicht anders konnte als die Vorlesung nicht zu besuchen. Obwohl der Student gar nicht anders konnte als die Vorlesung nicht zu besuchen, so Frankfurts Grundgedanke, ist es trotzdem plausibel, anzunehmen, dass der Student moralisch verantwortlich dafür ist, dass er die Vorlesung nicht besucht hat. Denn der Student hat aus reiner Faulheit beschlossen, die Vorlesung nicht besuchen. Er konnte zwar (aufgrund ihm unbekannter Umstände) die Vorlesung gar nicht besuchen, er hätte die Vorlesung aber auch dann nicht besucht, wenn er sie hätte besuchen können. Frankfurt erläutert:
„This, then, is why the principle of alternate possibilities is mistaken. It asserts that a person bears no moral responsibility—that is, he is to be excused—for having performed an action if there were circumstances that made it impossible for him to avoid performing it. But there may be circumstances that make it impossible for a person to avoid performing some action without those circumstances in any way bringing it about that he performs that action. It would surely be no good for the person to refer to circumstances of this sort in an effort to absolve himself of moral responsibility for performing the action in question. For those circumstances, by hypothesis, actually had nothing to do with his having done what he did. He would have done precisely the same thing, and he would have been led or made in precisely the same way to do it, even if they had not prevailed“ (S. 837).
Frankfurt schlägt aus diesem Grund vor, das Prinzip der alternativen Möglichkeiten mit einem Prinzip zu ersetzen, das besagt, dass man dann nicht moralisch verantwortlich ist für das, was man getan hat, wenn man es nur deshalb getan hat, weil man nicht anders handeln konnte. Frankfurt schreibt: „The principle of alternate possibilities should thus be replaced, in my opinion, by the following principle: a person is not morally responsible for what he has done if he did it only because he could not have done otherwise.“ (S. 838).
Entscheidend für Frankfurts Argument ist seine Einsicht, das eine Entscheidung so überdeterminiert sein kann, dass eine ontologisch fehlende Alternative nicht der Grund für die Entscheidung ist, da die Person unabhängig davon diese Alternative ausgeschlossen hat.