Virtuelle Realität hat gewichtige anthropologische Dimensionen. Hinsichtlich der genauen anthropologischen Bedeutung virtueller Realität gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen. Es stellen sich konkret zwei Fragen: Inwiefern kann der Mensch virtualisiert werden? Inwiefern ist die Praxis des Virtualisierens menschlich? Die Position des Transhumanismus vertritt die Auffassung, dass der Mensch selbst virtualisiert werden müsse. Unter virtueller Realität versteht etwa der US-amerikanische Erfinder Ray Kurzweil die künstliche Rekonstruktion menschlichen biologischen Lebens. Er vertritt die These, dass Mitte des 21. Jahrhunderts der technologische Fortschritt dermaßen exponentiell verläuft, dass es zu einer „Singularität“ kommt, also einer technologischen Revolution, infolge derer biologische und technologische Evolution miteinander verschmelzen. Künstliche Intelligenz werde Bewusstsein erlangen, und wir könnten unser eigenes Leben technisch vollständig bestimmen. In seinem Buch „The Singularity Is Near“ (2005) beschreibt Kurzweil diese Situation folgendermaßen: “The Singularity will represent the culmination of the merger of our biological thinking and existence with our technology, resulting in a world that is still human but that transcends our biological roots. There will be no distinction, post-Singularity, between human and machine or between physical and virtual reality” (9). Nach Kurzweil werden in Zukunft kleinste Roboter, sogenannte “Nanobots”, innerhalb unseres Körpers Arbeiten durchführen, die unser Leben bestimmen: „Nanobots will interact with biological neurons to vastly extend human experience by creating virtual reality from within the nervous system.“ Kurzweil setzt jedoch Virtualität der Realität entgegen. Daher bleibt der ontologische Status virtueller Realität in seiner Verwendungsweise unklar. Er ist in etwa gleichbedeutend mit technologischer Realisierung und Rekonstruktion: “As virtual reality from within the nervous system becomes competitive with real reality in terms of resolution and believability, our experiences will increasingly take place in virtual environments. In virtual reality, we can be a different person both physically and emotionally.” Nach Kurzweil werden wir in Zukunft unsere Existenz als Menschen vollständig digitalisieren können: „our identity will be based on our evolving mind file. We will be software, not hardware.” Kurzweil knüpft dabei an Johne Lockes Theorie personaler Identität an, wobei wir im Grunde in unseren Bewusstseinszuständen bestehen. Er transponiert diese Einsicht auf den Bereich digitaler Technik: „[T]he essence of our identity will switch to the permanence of our software”. Wenn unsere Identität digitalisierbar ist, dann werden nach Kurzweil auch virtuelle Körper besitzen können: „We don’t always need real bodies. If we happen to be in a virtual environment, then a virtual body will do just fine”. Das Problem des Transhumanismus besteht darin, dass die technologische Entwicklung als intrinsisch normativ verstanden wird. Dabei kommt es nicht auf die Entwicklung als solche an, sondern auf ihren Gebrauch durch Menschen. Die Normativität der Technologie bemisst sich an ihrem Gebrauch, nicht an ihrem Fortschritt.
Virtualität kann jedoch anthropologisch verstanden werden, ohne in einen Transhumanismus zu führen. Virtualisierung erweist sich so als anthropologische Dimension. Denn der Mensch hat immer schon die Tendenz, Bekanntes durch Einsatz von Technologie und Medien neu zu realisieren, im Sinne einer Alternativität und Künstlichkeit. Virtualisierung erweist sich damit als kreative Praxis menschlicher Freiheit Virtualisierung als Fusionierung von Simulation, Fiktion und Realität. Virtualität wird damit als Lebensform des Menschen sichtbar.