Wir sind nach Fichte nicht unmittelbar frei zu denken, da wir als Menschen endliche Wesen sind, die auch eine Natur haben, einen belebten Körper, der durch seine Triebe und Neigungen dem Naturgesetz unterliegt. Wir aber kommen wir von der Natur zur Freiheit? Fichte hatte davon gesprochen, dass sein Begriff der Freiheit ein „genetischer“, also sich entwickelnder Begriff sei, der die Frage betrifft, „wie denn ein Zustand schlechthin angefangen werden könne (36). Fichte unterscheidet zwischen formaler und materialer Freiheit. Formale Freiheit besteht darin, dass wir die Kraft unseres Naturtriebes reflektieren und unter einem Begriff fassen. Wir verhalten uns darin so zu unserem Naturtrieb, dass wir seine Kraft mit Bewusstsein durchdringen, ihn gewissermaßen vergeistigen oder sublimieren. Wir handeln demnach nicht mechanisch, also gänzlich heteronom, sondern mit einer gewissen Freiheit, die man als Handlungsfreiheit oder Bewusstseinsfreiheit charakterisieren könnte: Wir können darin zwar tun, was wir wollen, doch die ursprüngliche Kraft und Richtung des Wollens wird uns von der Natur vorgegeben; wir setzen die Natur nun selbst fort: „Die Natur handelt nun nicht mehr, sondern das freie Wesen; aber das letztere bewirkt gerade dasselbe, was die erstere bewirkt haben würde, wenn sie noch handeln könnte.“ (136) Nicht der Naturtrieb, sondern das Bewusstseins des Naturtriebs ist der „letzte Grund“ (132) des Handelns. Fichte schreibt, dass die formale Freiheit, also die begriffliche Reflexion des Naturtriebes, die „Wurzel aller Freiheit“ (132) sei, und dass diese bislang nur ungenügend erkannt worden sei.
Gegen die Skeptiker der Freiheit, die behaupten, dass wir nicht frei seien, weil alles determiniert sei, argumentiert Fichte folgendermaßen: Wir sind uns bestimmter Zustände unseres Ichs bewusst, für die wir keine Grüne außer ihnen angeben können, d.h. wir sind uns unserer absoluten Spontaneität bewusst. Dem skeptischen Einwand, dass dies nicht bedeutet, dass es keine äußeren Gründe dafür geben muss, dass es also prinzipiell unerkennbare Gründe für unser Handeln gibt, begegnet Fichte dadurch, dass er darauf verweist, dass solche „Gründe an sich“, ebenso wie „Dinge an sich“, nicht sinnvoll im Rahmen einer Transzendentalphilosophie gedacht werden können: „Was aber ein Sein ohne ein Bewußtsein bedeuten möge, davon hat die transzendentale Philosophie nicht nur keinen Begriff, sondern sie tut einleuchtend dar, daß so etwas keinen Sinn habe.“ (133) Nach Fichte ist das Argument der Freiheitsskeptiker zirkulär, denn sie „setzen […] offenbar voraus, daß das Ich in die Reihe des Naturgesetzes gehöre, was sie doch beweisen zu können vorgaben.“ Zwar muss der Verteidiger der Freiheit voraussetzen, dass das Ich nicht in die Reihe der Naturgesetze gehört, doch spricht für ihn die systematische Form der Begründung und die phänomenologische Anschauung bzw. die Intuition unserer selbst als erster Ursachen.
Freiheit kann jedoch nach Fichte nicht nur in der Unbestimmtheit von Naturgesetzen bestehen. Wir finden in uns zwar unmittelbar das Vermögen zu verschiedenen Handlungen vor und sind dadurch zunächst unbestimmt. Dies macht jedoch nur den negativen Begriff von Freiheit, also Freiheit von etwas, aus. Zur positiven Freiheit, also der Freiheit zu etwas, gehört, dass wir von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit übergehen. Fichte unterscheidet hier bezüglich der Selbstbestimmung zwischen einem bestimmenden und bestimmt werdenden Ich. Nach Fichte dürfen bestimmendes und bestimmtes Ich nicht als getrennt voneinander gedacht werden, sondern sind „im Bewußtsein der Freiheit […] völlig eins“ (134). Für Fichte gehört das Bewusstsein unserer Freiheit notwendig zum Begriff der Freiheit. Freiheit ist nicht ein Objekt unseres Bewusstseins, wie ein äußerer Gegenstand, sondern „Subjekt-Objekt“ (134), d.h. nie vom Bewusstsein zu trennen: Ich bestimme mich als mich bestimmend.
Nach Fichte muss alles aus dem Ich durch den Begriff des Triebes deduziert werden. Der Trieb stellt damit die theoretische und praktische Einheit individueller Subjektivität dar. Fichte ergänzt seinen Begriff der formalen Freiheit durch den Begriff der materialen Freiheit. Materiale Freiheit bezieht ihren Gehalt nicht vom Naturtrieb, wie die formale Freiheit, sondern aus dem „Trieb nach Freiheit um der Freiheit willen“ (136). Im Gegensatz zur formalen Freiheit und dem Naturtrieb werden in der materialen Freiheit durch den Freiheitstrieb andere Inhalte gesetzt: „Nicht nur die Intelligenz wirkt von nun an, sondern sie wirkt auch etwas ganz anderes, als die Natur je bewirkt haben würde.“ (136)
Fichte erklärt den „sittlichen Trieb“, d.h. unseren Trieb zu moralischen Handlungen im Sinne einer Transformation von Kants kategorischem Imperativ als eine Synthese aus Naturtrieb und Freiheitstrieb. Der Naturtrieb liefert dabei gewissermaßen die Antriebskraft, während der reine Trieb die ideale Form der Sittlichkeit beisteuert, idem er auf die „gänzliche Unabhängigkeit“ gerichtet ist: „Sie soll beabsichtigt werden, schlechthin weil sie es soll; weil ich Ich bin.“ (149) Fichte betont, dass der sittliche Trieb nicht mit Kants kategorischem Imperativ identisch ist. Der sittliche Trieb treibt uns dazu, einen kategorischen Imperativ zu bilden. Anders als bei Kant existiert nach Fichte der kategorische Imperativ nicht ohne unser eigenes Zutun, als „Faktum der Vernunft“, sondern „[e]r ist unser eignes Produkt; unser, inwiefern wir der Begriffe fähige Wesen, oder Intelligenzen sind.“ (152) Damit wendet sich Fichte wie gegen die Objektivierung der Freiheit auch gegen die Verobjektivierung des Sittengesetzes; es ist kein Faktum, sondern unser dynamisches Produkt des sittlichen Triebes, der aus dem reinen Trieb entspringt, es ist ein Produkt unserer absoluten Freiheit. Da das Sittengesetz aber ein dynamisches Produkt ist, hängt seine Präsentation (Form) – nicht aber sein normativer und absoluter Gehalt – von unserer Freiheit ab. Fichte will damit einen moralischen Relativismus vermeiden, wonach wir selbst die Geltungsweise der Moral subjektiv bestimmen. Sie ist durch den reinen Trieb universell und absolut gültig. Aber die Art der Präsentation, die Form, so wie wir sie repräsentieren, färbt auf den Inhalt der Normativität ab.
Fichtes Theorie des Bösen steht im Kontext seines größeren Systems der Dynamisierung der Freiheit und des Sittengesetzes. Sein System der Sittenlehre bewährt sich gerade am Beispiel der Frage nach einer Freiheit zum Bösen. Denn hier zeigt sich, dass Fichtes genetischer Freiheitsbegriff weiter erklären kann, wie wir dazu kommen, gegen die Forderung des Sittengesetzes zu handeln. Wenn das Sittengesetz etwas Objektives wäre, das uns einfach entgegengesetzt wird, und zu dem wir jederzeit einen kognitiven Bezug herstellen können, dann ließe sich nicht erklären, wie und warum wir von ihm abweichen sollten: „Es ist schlechthin unmöglich, und widersprechend, daß jemand bei dem deutlichen Bewußtsein seiner Pflicht im Augenblicke des Handelns, mit gutem Bewußtsein, sich entschließe, seine Pflicht nicht zu tun; daß er gegen das Gesetz sich empörend ihm den Gehorsam verweigere, und es sich zur Maxime mache, nicht zu tun, was seine Pflicht ist, darum weil es seine Pflicht ist.“ (188) Daraus folgt nach Fichte, „daß das Sittengesetz gar nicht so etwas ist, welches ohne alles Zutun in uns sei, sondern daß es erst durch uns selbst gemacht wird“ und „daß es ja von unserer Freiheit abhänge, ob jenes Bewußtsein fortdauere, oder sich verdunkle.“ (189)