Fichte entwickelt seinen Freiheitsbegriff in direkter Anknüpfung an Kants Begriff „transzendentaler Freiheit“. Diese besteht nach Kant in dem „Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Causalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte“ (KrV, B 561). Allerdings hat Kant nach Fichte damit nur eine „Nominal-Erklärung“ (36) gegeben. Es stellt sich nämlich nach Fichte die Frage, „wie denn ein Zustand schlechthin angefangen werden könne, oder wie sich denn das absolute Anfangen eines Zustandes denken lasse“. Fichte möchte also auch den Begriff der Freiheit „vor unseren Augen“ ‚erzeugen‘, d.h. anschaulich synthetisch und apriorisch bestimmen. Fichte nennt einen solchen Freiheitsbegriff, der nicht nur Freiheit dem Namen nach bestimmt, sondern auch in ihrer Entwicklung verständlich macht, einen „genetischen Begriff der Freiheit“. Gemäß dem genetischen Begriff der Freiheit entsteht eine freie Handlung nicht aus dem Nichts, sondern der neue Anfang einer Handlung wird an das bereits bestehende Denken „angeknüpft“. Damit stellt Fichte sicher, dass unsere Freiheit unser bisheriges Denken fortsetzt und keine Lücken aufweist – ähnlich, wie eine mathematische Funktion an jeder Stelle stetig und differenzierbar sein muss. Freiheit setzt damit unser Denken in eine bestimmte Richtung fort, etwa dann, wenn wir vor einer Entscheidung stehen und dann einen bestimmten Weg einschlagen. Für seinen Freiheitsbegriff verwendet Fichte den Begriff des Triebes. Wir können diesen im Sinne einer „Tatkraft“ bzw. Energie verstehen. Eine gespannte Stahlfeder etwa besitzt in sich eine Triebkraft. Doch ist diese Kraft nicht frei zu nennen. Um frei zu sein, muss die Tatkraft „in die Botmäßigkeit der Intelligenz“ kommen, d.h. von dem Ich und seiner (Selbst)Reflexion kontrolliert werden. Dann wird aus dem bloßen Trieb ein „Sehnen“, d.h. eine volitionale intentionale Struktur, und die Tatkraft wird „von einem Entschlusse begleitet“ (40). Freiheit bedeutet nach Fichte, dass das vernünftige Wesen, d.h. das Ich, „absolut, selbständig, schlechthin der Grund seiner selbst“ ist: „Es ist ursprünglich, d.h. ohne sein Zutun, schlechthin nichts: was es werden soll, dazu muß es selbst sich machen, durch sein eignes Tun.“ Diese Grundfreiheit kann nach Fichte nicht bewiesen werden, da sie die transzendentale Bedingung von Freiheit überhaupt darstellt – ebenso wie Fichtes These, dass Subjekt und Objekt ursprünglich als vereinigt gedacht werden müssen. Da das freie Vernunftwesen endlich ist, wird durch seine Reflexion auf ein Objekt seine Freiheit bestimmt. Der Glaube, dass wir „wirklich frei“ sind, d.h. dass unsere Triebkraft und unsere Handlungen aus Freiheit entspringen, ist nach Fichte der „Vereinigungspunkt“ von empirischer und vernünftiger Realität und bildet den Ausgangspunkt für Fichtes System der Sittenlehre. Fichtes freiheitstheoretischer Grundüberzeugung nach muss das Sein (bzw. das Objekt) aus dem Tun (bzw. dem Ich und der Intelligenz) abgeleitet werden. Andernfalls würde das Tun zu einem bloßen Schein, d.h. zum Ergebnis und Gegenstand determinierender Prozesse. Fichte bringt dies auf die Formel: „Das Ich ist nicht aus dem Nicht-Ich, das Leben nicht aus dem Tode, sondern umgekehrt, das Nicht-Ich aus dem Ich abzuleiten: und darum muß von dem letzteren alle Philosophie ausgehen.“ Dies können wir wieder im Sinne eines transzendentalen Arguments verstehen: Wir können uns nur dann frei und vernünftig denken, wenn wir unser Ich zum Ausgangspunkt und zur Grundbedingung nehmen. Dies bedeutet nicht, dass wir die Außenwelt und ihre Gegenstände aus unserem Ich ableiten bzw. selbst hervorbringen. Vielmehr bedeutet die Priorität des Ichs, dass wir nur unter seiner Priorität ein zugleich freies wie rationales Verhältnis zur Außenwelt etablieren können. Wie bereits Kants Begriff der transzendentalen Freiheit, so bestimmt Fichte auch Kants Begriff der praktischen Vernunft im Rahmen seines Systems der Sittenlehre auf neue Weise. Fichte wendet sich gegen eine vergegenständlichende Lesart der Vernunft: „Die Vernunft ist nicht ein Ding, das da sei und bestehe, sondern sie ist Tun, lauteres, reines Tun.“ Die Aktivität der Vernunft besteht darin, dass sie sich selbst bestimmt und reflektiert, ja „anschaut“, womit Fichte ihren synthetisch-apriorischen Charakter hervorhebt. In ihrer Selbstreflexivität ist menschliche Vernunft aber immer endlich. Alle ihre intentionalen Gegenstände sind als solche bereits bestimmt. Fichte argumentiert, dass die Vernunft durch ihr reines Selbst-Bestimmen ein Sollen hervorbringt. Ist die Vernunft hingegen von Außen bestimmt, so „daß sie die Mittel für irgendeinen außer ihr etwa durch unser Naturbedürfnis, oder durch unsere freie Willkür, gegebenen Zweck finden müsse“, so ist sie nicht mehr reine praktische, sondern nur noch „technisch-praktische“ Vernunft, die man auch als „instrumentelle Vernunft“ bezeichnen kann. Ein solcher Vernunftgebrauch ist nicht autonom, sondern heteronom zu nennen: er folgt nicht seinem eigenen Gesetz, sondern einem fremden, von Außen auferlegten Gesetz.