Hannah Arendt (1906-1976) hat insbesondere Formen des Bösen in den Blick genommen, die aus komplexen sozialen Organisationsformen hervorgehen. Am Beispiel des NS-Verbrechers Adolf Eichmann, dem 1961 in Jerusalem der Prozess gemacht wurde, entwickelt Arendt nicht etwa eine „Theorie“ des Bösen und will auch keine „Erklärung des Phänomens“ geben, sondern beschreibt eine „Lektion“, also eine „Lehre“ oder „Moral“ der jüngeren Zeitgeschichte. Arendt konzentriert sich dabei vor allem auf die Person Eichmanns, die sie als „bisher unbekannte[n] Verbrechertypus“ (57) von klassischen Bösewichten der Literaturgeschichte dadurch unterscheidet, dass Eichmann sich „niemals vorgestellt [habe], was er eigentlich anstellte“, so dass er ein „mangelnde[s] Vorstellungsvermögen“ besaß. Arendt sieht Eichmanns Schuld in seiner „schieren Gedankenlosigkeit“ (57), die Arendt vom Phänomen der Dummheit unterscheidet. Eichmann erscheint nach Arendt als ein Kleingeist, als ein phantasieloser Befehlsempfänger. Die Person Eichmanns erscheint als „banal“ und sogar als „komisch“, wenn auch nicht „alltäglich“, da man Eichmann nach Arendt „beim besten Willen keine teuflisch dämonische Tiefe abgewinnen kann“ (57). Doch konnten Eichmanns „Realitätsferne“ und „Gedankenlosigkeit“ „mehr Unheil anrichten […] als alle die dem Menschen vielleicht innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen“ (57). Arendt wirft die Frage auf, welcher Begriff für Eichmanns Verbrechen angemessen ist. Sie diskutiert den Begriff des „Verwaltungsmassenmordes“, den sie für angemessener als den Begriff des „Völkermordes“ hält, da diese „in der Antike an der Tagesordnung“ gewesen seien (57 f.). Eichmann war nach Arendt kein „winziges Rädchen“ im Getriebe des Verwaltungsmassenmordes. Arendt bestimmt den Verwaltungsmassenmord als Produkt eines „totalen Herrschaftsapparates“, der sehr eng mit dem Wesen der Bürokratie verwandt sei (59). In diesem System werden Menschen zu bloßen „Funktionäre[n]“ und „bloße[n] Räder[n] im Verwaltungsbetrieb“ und damit auch entmenschlicht. Arendt spricht gar von einer „Herrschaft des Niemand“, die sie als „eigentliche Staatsform der Bürokratie“ bestimmt. Arendt spricht von einer „moralische[n] Absurdität“, die darin besteht, dass wir niemals böse sein wollen und uns daher im bösen Handeln selbst widersprechen. Wie können wir dann aber das Böse des Verwaltungsmassenmordes verstehen? Nach Arendt unterliegen Verwaltungstäter wie Eichmann deswegen nicht der moralischen Absurdität, das Böse um des Bösen willen zu tun, „weil sie auf das Getane niemals Gedanken verschwendet haben, und ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten.“ (77) Indem sie nicht an ihre vergangenen Taten denken, sind Täter wie Eichmann wurzellos und besitzen in ihren Handlungen keine Tiefe, sondern nur eine quasi-mechanische Oberflächlichkeit. Deswegen ist das von ihnen begangene Böse gerade nicht „radikal“, also wurzelhaft, sondern wurzellos, „und weil es keine Wurzeln hat, hat es keine Grenzen, kann sich ins unvorstellbar Extreme entwickeln und über die ganze Welt ausbreiten.“ (77) Das wurzellose Böse hat deswegen zur Folge, dass die Person des Verbrechers nicht mehr sichtbar wird. Diese Wurzellosigkeit des bürokratischen Bösen zeigt sich nach Arendt auch darin, dass ihre Täter nicht in der Lage sind, große Kunst zu produzieren, da ihnen die „ganz allgemeine Denk- und Erinnerungsfähigkeit“ (79) abhandengekommen ist. NS-Täter wie Eichmann mochten zwar hochkultiviert sein, und vermochten es, Kunst zu rezipieren, doch stellt das Denken nach Arendt eine Aktivität dar, die sie verlernt haben. Kunstwerke wie Gedichte, Musikstücke und Gemälde sind nach Arendt aber „Gedankendinge“ (79), die sie zu produzieren nicht mehr fähig sind, da sie ihre Integrität verloren haben.