Hans Kelsen (1881-1973) untersucht den Begriff der Gerechtigkeit und des Rechts vor dem Hintergrund seines Rechtspositivismus, der besagt, dass das Recht menschengemacht ist und nicht von Natur aus bzw. wesentlich in etwas schon vorliegt. Gerechtigkeit wird im sozialen Verhalten so verstanden, dass dieses einen Gerechtigkeitswert setzt und einer gerechten Norm entspricht. Jede Gerechtigkeitsnorm ist eine Moralnorm, aber nicht jede Moralnorm ist eine Gerechtigkeitsnorm. Gerechtigkeitsnormen schreiben eine bestimmte Behandlung eines Menschen durch einen anderen vor, d.h. sie gelten nur im intersubjektiven Verhältnis. Dies ist nicht bei allen Moralnormen der Fall. Kelsen setzt eine Grundnorm als letztgültige menschengemachte Norm, von der aus alle anderen Normen ihren normativen Gehalt verliehen bekommen. Eine Norm ist nicht wahr oder falsch, so wie es etwa deskriptive logische Aussagen sind, sondern sie gilt oder sie gilt nicht.
L. A. Hart (1907-1992) berücksichtigt bei seinem Begriff der Gerechtigkeit den Gedanken der Gleichheit. Er kritisiert, dass der bloße Gedanke von Gleichheit noch nicht hinreichend für einen adäquaten Begriff von Gerechtigkeit ist. Was gleich ist, ist immer relativ. In bestimmten Hinsichten sind wir mit allem irgendwie gleich. Es kommt daher darauf an, dass wir zusätzlich Kriterien dafür entwickeln, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede im Vergleich für die Gerechtigkeit relevant sind und welche (wie etwa die Hautfarbe) nicht. Deswegen ist der Satz „Gleiches gleich behandeln“ solange eine bloße „Leerformel“, wie nicht diese Kriterien bestimmt werden. Wir müssen hinsichtlich der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit eines Gesetzes und derjenigen der Anwendung eines Gesetzes auf Einzelfälle unterscheiden. Allerdings können wir Gerechtigkeit nicht adäquat durch die bloße regelhafte Anwendung bestimmen.
John Rawls (1921-2002) befasst sich vor allem mit dem Problem der Verteilungsgerechtigkeit angesichts begrenzter Güter. Er entwickelt seine Theorie der Gerechtigkeit in Abgrenzung von utilitaristischen und konsequentialistischen Überlegungen, wonach Gerechtigkeit über Nutzenmaximierung erreicht werden kann. Dagegen kritisiert er, dass Nutzenmaximierung mit der Einschränkung individueller Freiheiten und ungerechter Verteilung von Gütern durchaus kompatibel ist. Als Alternative dazu entwickelt er eine kontraktualistische Position, wonach sich die Mitglieder einer Gesellschaft vertraglich auf die gerechte Verteilung in einem gemeinsamen Akt im sogenannten „Urzustand“ einigen. Um gerechte und gleiche Grundvoraussetzungen für diesen Akt zu schaffen, konzipiert Rawls die Idee eines „Schleier des Nichtwissens“, wonach niemand der Mitglieder zu Beginn weiß, wo er später genau in der Gesellschaft seinen Stand haben wird und auch nichts über die Verteilung von Talenten und Fähigkeiten weiß. Rawls statuiert zwei Gerechtigkeitsprinzipien, die besagen, dass jede Person mit Blick auf eine Institution gleiches Recht auf die größtmöglichen Freiheiten hat, die mit der Freiheit aller kompatibel ist, und ferner, dass die Ungleichheiten, die in jeder Gesellschaft durch die Verschiedenheiten der Menschen zu finden sind, und wie sie durch Institutionen festgelegt werden, etwa im Bildungssystem, sich zu jedermanns Vorteil auswirken, und dass der Zugang zu diesen Institutionen allen Mitgliedern möglich ist. Rawls‘ sogenanntes „Differenzprinzip“ besagt ferner, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten so zu regeln sind, dass sie den am wenigsten Begünstigten die bestmöglichen Aussichten eröffnen.
Jürgen Habermas (*1929) kritisiert in seiner Theorie den Gedanken des Schleiers des Nichtwissens bei John Rawls als zu abstrakt und restriktiv. Nach Habermas neutralisiert Rawls damit die verschiedenen partikularen Deutungsperspektiven der rationalen Mitglieder einer Gemeinschaft. Dagegen argumentiert er, dass seine Auffassung einer Diskursethik es erlaubt, diese individuellen Perspektiven dadurch ernst zu nehmen, dass diese „entschränkt“, d.h. miteinander im rationalen, inklusiven und zwangslosen Diskurs vermittelt werden.
Amartya Sen (*1933) entwickelt einen Begriff von Gerechtigkeit, der sich nicht auf einzelne Gesellschaften und Nationen, sondern auf die gesamte Welt bezieht. Er spricht in diesem Sinne von „globaler Gerechtigkeit“. Sen grenzt sich von Auffassungen von Gerechtigkeit ab, die innerhalb von Nationen aber auch zwischen Nationen gelten sollen. Angesichts von Rawls‘ Konzeption des Urzustandes grenzt sich Sen sowohl von der Auffassung des „Großen Universalismus“ ab, wonach alle Menschen, ohne Rücksicht auf Nationalität, Gerechtigkeit kontraktualistisch konstituieren, da sie unrealistisch sei, und einem „Nationalen Partikularismus“, wonach der Urzustand jeweils für einzelne Nationen gilt, da sie zu wenig global sei. Dagegen argumentiert Sen dafür, grenzüberschreitende Identitäten von Menschen für eine Theorie der globalen Gerechtigkeit zu berücksichtigen, wie etwa politische und soziale Zugehörigkeit. Diese Identitäten stehen quer zu nationalen Beziehungen. Sen spricht diesbezüglich von „multiplen Identitäten“, welche Menschen besitzen, und welche zu einer „pluralen Zugehörigkeit“ führen, die sich nicht allein national bestimmen lässt. Globale Gerechtigkeit muss diese multiplen Identitäten der Menschen ernst nehmen.
Martha Nussbaum (*1947) versucht, im Ausgang von Rawls und Sen eine Konzeption „wirklich globaler Gerechtigkeit“ zu entwickeln. Dabei fokussiert sie auf bislang nur wenig beachtete Bevölkerungsgruppen wie etwa Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. Ferner fokussiert sie auf nichtmenschliche Tiere und ihre Interessen, die ebenfalls für eine umfassende Theorie von Gerechtigkeit berücksichtigt werden müssen. Dazu entwickelt sie einen Fähigkeiten-Ansatz, wonach die spezifischen Fähigkeiten eines Lebewesens für seine gerechte Behandlung berücksichtigt werden müssen. Um für diesen Fähigkeitenansatz weiter gesellschaftlich zu verankern, schlägt sie vor, insbesondere moralische Gefühle, die dafür sensibel sind, zu kultivieren.