Gerechtigkeit ist eine Eigenschaft nicht nur von Menschen, etwa dann, wenn sie die (Charakter)Tugend der Gerechtigkeit besitzen, sondern auch von politischen Systemen, etwa dann, wenn ihren Mitgliedern gleiche (Grund)Rechte zugestanden werden. Im Grundgesetz etwa werden folgende „Grundrechte“ garantiert: Schutz der Menschenwürde (Art. 1), freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2), Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3), Glaubensfreiheit (Art. 4) sowie Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5). Gerechtigkeit ist jedoch nicht dasselbe wie Gleichheit – eine Annahme, die tendenziell das politische System des Kommunismus teilt. Es ist nämlich durchaus denkbar, dass in einem politischen System Ungleichheiten bestehen, dass diese aber möglichst gerecht geordnet werden, und zwar so, dass die Ungleichheiten nicht größer werden, sondern dass auf die am wenigsten Begünstigten immer geachtet wird und alle Menschen dieselben Grundfreiheiten bzw. Grundrechte besitzen. John Rawls (1921-2002) befasst sich vor allem mit dem Problem der Verteilungsgerechtigkeit angesichts begrenzter Güter. Er entwickelt seine Theorie der Gerechtigkeit in Abgrenzung von utilitaristischen und konsequentialistischen Überlegungen, wonach Gerechtigkeit über Nutzenmaximierung erreicht werden kann. Dagegen kritisiert er, dass Nutzenmaximierung mit der Einschränkung individueller Freiheiten und ungerechter Verteilung von Gütern durchaus kompatibel ist. Als Alternative dazu entwickelt er eine kontraktualistische Position, wonach sich die Mitglieder einer Gesellschaft vertraglich auf die gerechte Verteilung in einem gemeinsamen Akt im sogenannten „Urzustand“ einigen. Um gerechte und gleiche Grundvoraussetzungen für diesen Akt zu schaffen, konzipiert Rawls die Idee eines „Schleier des Nichtwissens“, wonach niemand der Mitglieder zu Beginn weiß, wo er später genau in der Gesellschaft seinen Stand haben wird und auch nichts über die Verteilung von Talenten und Fähigkeiten weiß. Rawls statuiert zwei Gerechtigkeitsprinzipien: Das Gleichheitsprinzip besagt, dass jede Person mit Blick auf eine Institution gleiches Recht auf die größtmöglichen Freiheiten hat, die mit der Freiheit aller kompatibel ist. Das Differenzprinzip besagt, dass die Ungleichheiten, die in jeder Gesellschaft durch die Verschiedenheiten der Menschen zu finden sind, und wie sie durch Institutionen festgelegt werden, etwa im Bildungssystem, sich zu jedermanns Vorteil auswirken, und dass der Zugang zu diesen Institutionen allen Mitgliedern möglich ist. Rawls‘ sogenanntes „Differenzprinzip“ besagt ferner, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten so zu regeln sind, dass sie den am wenigsten Begünstigten die bestmöglichen Aussichten eröffnen.