Der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel (*1937; Bildquelle: Wikipedia) diskutiert in seinem Buch „The Possibility of Altruism“ (1970) das Thema moralischer Motivation im Kontext der Frage nach der Begründung von Moral. Er vertritt die These, dass Rationalität nicht nur darin besteht, bestimmte Argumente als rational anzuerkennen (to accept), sondern auch darin, für bestimmte motivationale Einflüsse wie etwa den Altruismus empfänglich (susceptible) zu sein (3). Damit richtet sich Nagel sowohl gegen den ethischen Relativismus, wonach es keine objektiven moralischen Werte gibt, als auch gegen den ethischen Individualismus, wonach unsere moralische Motivation nur in individuellen Interessen besteht. Nagel bestimmt den Altruismus deswegen in Abgrenzung von bloßen individuellen Gefühlen und subjektiven Zuständen. Er versteht moralische Normativitätsprinzipien (wie etwa Kants kategorischen Imperativ, das „principium diiudicationis“) und moralische Motivation (das „principium executionis“) als aufeinander verwiesen. Erstere müssen durch letztere unterstützt werden. Menschliche moralische Motivation darf nicht als ein bloßes „system of given desires connected in certain ways with action” (5) verstanden werden. Moralische Motivation befindet sich demnach an der Schnittstelle von Anthropologie und Ethik, und gerade deswegen ist sie so zentral. Nach Nagel ist der Grund moralischer Motivation nichts, was mit unseren individuellen Bedürfnissen und Wünschen (desires) zu tun hat. Er versucht, die Grundprinzipien der Ethik so zu explizieren, dass dabei der Motivationstheorie nicht nur psychologisch-empirische, sondern auch metaphysische Bedeutung zukommt, insofern sie auf die Natur des Menschen und seine Rationalität bezogen ist. Moralische Motivation ist deswegen auf die Metaphysik bezogen, da sie eine besondere Form von (moralische-normativer) Notwendigkeit und Verbindlichkeit aufweist. Um diese moralische Notwendigkeit zu begründen, genügt ein Bezug auf individuelle kontingente Neigungen nicht. Vielmehr müssen die motivationalen Prinzipien und Notwendigkeiten als mit den normativen moralischen Prinzipien aufs Engste verbunden gedacht werden und sich daraus ergeben, so dass sie selbst eine Objektivität besitzen, die man zunächst bei ihnen aufgrund ihres subjektiven Charakters gar nicht vermuten würde (6).
Die möglichen Verhältnisse von Ethik und moralischer Motivation untersucht Nagel anhand der Begriffe von „Internalismus“ und „Externalismus“. Nach dem Internalismus wird die jeweilige moralische Motivation durch die objektive Geltung bzw. Wahrheit des dahinter stehenden moralischen Prinzips begründet und gerechtfertigt. Nach dem Internalismus folgt aus der moralischen Annahme, dass es richtig wäre etwas zu tun, unmittelbar auch die Motivation, dies zu tun. Dem Externalismus zufolge hängt die moralische Motivation nicht von den ethischen Prinzipien und ihren Beurteilungen ab. Vielmehr bedarf es neben diesen immer einer psychologischen Sanktionierung, die ihnen äußerlich und extern ist (7). Nagel möchte dagegen eine internalistische Position entwickeln, derzufolge sich die moralische Motivation direkt aus der Einsicht in die Wahrheit der ethischen Prinzipien ergibt. Internalistische Positionen vertreten die Auffassung, dass moralische Motivation etwa im Selbstinteresse, im Mitleid oder Wohlwollen bestehen kann. Doch häufig führen solche Motivationstheorien dazu, dass auf der Prinzipienebene Moral nicht mehr objektiv begründet werden kann. Daraus folgt nach Nagel eine anti-rationale ethische Theorie, die ihre normative Basis nur aus Neigungen, Gefühlen und individuellen Bedürfnissen bezieht.