Zusammenfassung: Ethik des Transhumanismus

Innerhalb der philosophischen Debatte um die pervasive Bedeutung der Digitalisierung kommt dem sogenannten „Transhumanismus“ eine besondere Rolle zu. Er besagt, dass der Mensch durch seine technologischen Entwicklungen über sich selbst hinauswächst und seine Natur grundlegend verändern kann. Allerdings ist der Status des Transhumanismus unklar: Man kann ihn als eine philosophische Theorie, als eine Theorie der Aufklärung, aber auch als eine Ideologie, Zukunftsspekulation oder sich wissenschaftlich gebärdende Form von science fiction verstehen. Eine prominente Form des Techno-Transhumanismus wurde von dem amerikanischen Ingenieur und Erfinder Ray Kurzweil (*1948) entwickelt. Sein Buch „The singularity is near“ trägt den bezeichnenden Untertitel: „When humans transcend biology“. Das Titelblatt ziert ein technisch stilisiertes Gehirn, welches nicht mehr biologisch, sondern künstlich realisiert ist. Der Begriff der Singularität ist insofern relevant, als er eine Zukunftsperspektive aufzeigt, in welcher durch technologisch exponentielles Wachstum ein Zustand derartiger Intelligenzleistung und -Dichte erreicht ist, dass neue Phänomene emergieren, die unser Leben und unsere Natur tiefgreifend revolutionieren. Entscheidend ist, dass die Singularität, die Kurzweil um das Jahr 2100 ansiedelt, einen Verschmelzungszustand von biologischer und technologischer Evolution bezeichnet: „There will be no distinction, post-Singularity, between human and machine or between physical and virtual reality.“ (9) Durch die Singularität transzendieren wir die Grenzen unserer biologischen Körper und Gehirne: „We will gain power over our fates. Our mortality will be in our own hands.” Kurzweil entwickelt eine Evolutionstheorie, die biologische und technologische Evolution in ein progressives Kontinuum setzt. Seine teleologische Techno-Geschichte besteht aus sechs sich ablösenden Epochen, die sich als Entwicklung immer komplexer werdender Information beschreiben lässt: „it’s the evolution of patterns that constitutes the ultimate story of our world.“ In der ersten Epoche entwickelten sich physikalische Teilchen, in der zweiten DNA, in der dritten das Gehirn, in der vierten die Technologie. In der fünften, noch zukünftigen Epoche verschmelzen nach Kurzweil Technologie und Biologie, insofern die Technologie die Biologie künstlich nachbilden kann. In der sechsten und letzten Epoche breitet sich menschliche Intelligenz im ganzen Universum aus, da sie nicht mehr an biologische endliche Körper gebunden, sondern prinzipiell auf alle Materie und Energie übertragbar ist. Dieser Gedanke, dass sich menschliche Intelligenz und Identität von dem individuellen biologischen Körper lösen lässt, ist nicht neu. Der englische Philosoph John Locke (1632-1704) hatte die These vertreten, dass unser Bewusstsein auf ganz verschiedene Körper übertragbar ist.

Entscheidend an Kurzweils technoteleologischer Geschichte ist, dass sie als eine Form radikaler menschlicher Autonomie verstanden werden kann. Denn hier bestimmt der Mensch nicht nur seinen Willen, unabhängig von natürlichen Einflüssen (wie bei Descartes und Kant), sondern auch seine physische Existenz, Evolution und Zukunft. Technologie und Mensch stehen sich in der Singularität nicht mehr wie Instrument und Nutzer gegenüber, sondern verschmelzen miteinander. Der Mensch wird immer mehr zu seiner eigenen Technologie, die perfektionistisch verfasst ist. Technik wird zu einer Dimension des Menschen, die in der Singularität zu sich selbst kommt und wodurch die Differenz zwischen Mensch und Technik immer mehr aufgehoben wird. Damit überbrückt Kurzweil die Sein-Sollens-Kluft, denn das Sein der Technik verbürgt in sich eine Normativität, da sie auf eine bessere Entwicklung abzielt. Allerding ist Kurzweils Techno-Normativität ethisch insofern problematisch, als sie nicht die Möglichkeit diskutiert, dass technologische Entwicklungen auch negative Konsequenzen mit sich bringen können. Ferner stellt sich die Frage, ob der Transhumanismus nicht den Menschen technologisch instrumentalisiert und zu einem bloßen Gegenstand technologischer Evolution macht.

Es lassen sich vier Verhältnisse denken, in denen der Mensch zur Technik steht:

1. Konvergenzthese (=Transhumanismus): Mensch und Maschine verschmelzen in der Singularität; der Mensch bestimmt sein Schicksal selbst durch Technologie.

2. Instrumentalitätsthese: Maschinen sind nur Hilfsmittel des Menschen: Der Mensch bestimmt die Technik. Dagegen spricht, dass die neuen Medien keine einfachen Instrumente mehr sind, die nur auf einen Zweck gerichtet sind, wie etwa ein Hammer. Vielmehr lasse sie sich multifunktional verwenden und erzeugen selbst neue Realitäten, wie etwa soziale Netzwerke.

3. Interaktionsthese: Mensch und Maschine interagieren und interferieren (z.B. durch das „Internet der Dinge“ und künstliche Intelligenz)

4. Erweiterungsthese: Maschinen erweitern die Vermögen des Menschen durch virtuelle Realitäten.