Zusammenfassung, 1. Vorlesung, 19.2.2024

Die Autoren des Artikels „Emotion“ in der renommierten „Stanford Encyclopedia of Philosophy“ weisen darauf hin, dass es sehr schwierig ist, den Begriff der Emotion zu definieren und eindeutig zu systematisieren: „[N]o theory within any tradition appears immune from counterexamples and problem cases“. Dies hat im 20. Jahrhundert dazu geführt, dass man sich nur behaviouristisch auf die Außenseite von Emotionen – also das (körperliche) Verhalten – konzentriert hat, nicht aber auf die subjektive Qualität und systematische Bedeutung von Emotionen: „[T]he variety of phenomena covered by the word ‘emotion’ discourages tidy theorizing“. Um den Begriff der Emotion systematisch und methodisch zu definieren, scheint es zuerst sinnvoll zu sein, ihn negativ bestimmen und von verwandten Phänomenen abzugrenzen, und zwar von anderen Formen phänomenalen Bewusstseins wie Gefühlen, Affekten und Stimmungen. Eine stabile Definition der Emotion muss gerade auch offen für konkrete Beispiele sein und auf diese systematisch reagieren können. Im Gegensatz zu Gefühlen und Affekten scheint eine Emotion den ‚Kern‘ einer Person, also ihren Charakter zu betreffen. Während Gefühle nur an der Person auftreten, ereignen sich Emotionen durch die Person. Sie besitzen damit eine Ausdehnung, eine Intentionalität und Einstellung, die nicht nur akzidentell, sondern substanziell ist. Emotionen betreffen die Existenz der Person, und nicht nur ihre Situation oder passive Stimmung. Affekte, Gefühle und Stimmungen sind situativ, Emotionen hingegen existenziell. Darauf verweisen die Autoren des Artikels, Scarantino und De Sousa, zurecht: „No aspect of our mental life is more important to the quality and meaning of our existence than the emotions. They are what make life worth living and sometimes worth ending. So it is not surprising that most of the great classical philosophers had recognizable theories of emotions.“ Emotionen scheinen eine gewisse evolutionäre Entwicklung vorauszusetzen, denn einfache Organismen sind dazu nicht in der Lage. Gefühle wie Hunger kennen einfache Lebensformen, Affekte wie Wut sind weitaus anspruchsvoller, Stimmungen und Emotionen noch mehr. Emotionen scheinen damit eine intelligente Lebensform vorauszusetzen, und Computer können Emotionen zwar simulieren, jedoch nicht empfinden.

Emotionen lassen sich nur schwer von verwandten Phänomenen wie Gefühlen, Affekten und Stimmungen unterscheiden, indem wir auf ihre räumliche und zeitliche Ausdehnung reflektieren. In der Geschichte der Philosophie wurden Emotionen als Gefühle, als Evaluationen und als Motivationen bestimmt (vgl. Scarantino/de Souza 2018). Dies legt nahe, dass es sich bei Emotionen um äußerst komplexe Phänomene handelt, die nicht nur eine Gefühlsseite haben, sondern auch eine volitionale und rationale Dimension aufweisen. In einer ersten Annäherung, und orientiert an der Wortbedeutung, können wir Emotionen als Expressionen von Subjektivität verstehen, im Gegensatz zu bloßen Impressionen bzw. Eindrücken. Hierbei können wir die Art der Expression und der Subjektivität jeweils weiter unterscheiden. Die Expression der Subjektivität kann entweder integral, also vollständig, oder nur partiell erfolgen. Die Extension der expressiven Subjektivität kann entweder robust sein, sich also zeitlich konstant stabil und beständig erstrecken (und dann wieder abklingen), oder aber nur momentan bzw. instantan, also instabil und ephemer auftreten (und dann wieder verfliegen).

Wir können diese Unterscheidungen anhand der Emotion der Liebe illustrieren. Im Gegensatz zum immer nur äußerlichen Gefühl des Hungers betrifft sie unsere gesamte Subjektivität und Individualität, ist also integraler Ausdruck unserer selbst. Im Gegensatz zu einem Affekt wie Wut ist sie beständig, verfliegt also nicht einfach, sondern klingt höchstens langsam ab. Im Gegensatz zu einer unspezifischen Stimmung wie Trauer ist sie intensiver, so dass sie uns zu Handlungen motivieren kann. Die Emotion erweist sich damit bereits begrifflich als Ausdruck der Freiheit. Denn ein Gefühl ist nur das phänomenale Bewusstsein von etwas, was in uns ist, nicht aber von uns im integralen Sinne hervorgerufen und autorisiert wird. Ein Affekt ist etwas, von dem wir geradezu passiv ergriffen werden, auch wenn er unsere Subjektivität ganz ausfüllt und uns dadurch zu Handlungen verleitet, aber nicht strenggenommen motiviert. Er hat nicht die Konstanz, um kontrolliert und reflektiert betrachtet werden zu können. Wir werden in ihm zu etwas hingerissen und sind „außer uns“. Retrospektiv betrachtet, können wir uns mit uns im Zustand des Affekts oft nicht mehr identifizieren und schämen uns über uns, etwa dann, wenn wir im Affekt eine andere Person verletzt haben. In der Stimmung sind wir im Gegensatz zum Affekt nicht ergriffen und überwältigt, jedoch gewissermaßen in einen Zustand versetzt. Stimmungen motivieren nicht, sondern belassen uns in ihrer Robustheit kontemplativ. Sie sind Tönungen unseres innerpsychischen Erlebens, wie wenn wir eine rosarote oder verdunkelnde Brille aufgesetzt haben. In der Emotion der Liebe hingegen verhalten wir uns konstant hingebungsvoll bedächtig aktiv, auch wenn oder gerade weil wir ganz durch sie erfüllt sind. Auch ist Liebe (im Gegensatz zum Verliebtsein und Sich-Verlieben) beständig; sie kommt und geht nicht einfach, verfliegt nicht wie der Affekt der Wut (nicht aber wie die Emotion des Hasses); sie ist daher auch eine Einstellung, die sich über längere Zeit hin erstreckt und daher auch kultiviert werden kann. Wir können nun die motivationale Kraft der Emotion als eine Funktion ihrer integralen Ganzheit verstehen, und ihre Rationalität als Funktion ihrer Robustheit, die sie zu einer Einstellung werden lässt. Emotionen drücken unsere Persönlichkeit aus und sind deswegen Formen von Freiheit. Affekte und Gefühle, wie auch Stimmungen, sind dagegen oft von Außen induziert und daher Formen von Fremdbestimmung.

In der Geschichte der Philosophie wurden manche Affekte als Emotionen behandelt bzw. zu diesen stilisiert. Dies zeigt sich etwa am Phänomen des Ekels, der nach Sartre nicht einen Affekt bezeichnet (wie etwa das würgende Zurückweichen vor einem von Maden durchsetzten, stinkenden Stück Fleisch), sondern eine metaphysische Einstellung zur Welt. Ebenso ist nach Heidegger die Angst kein ephemerer Affekt des instinktiven Zurückweichens vor einer Gefahr, sondern eine robuste metaphysische Einstellung zur Welt.

Emotionen besitzen, wie auch Affekte, Gefühle und Stimmungen, eine körperliche Außenseite, über die wir mit anderen Personen kommunizieren. Emotionale Kommunikation drückt Sachverhalte aus und ist auf sie gerichtet, jedoch nicht in direkt sprachlich-semantischer Form. Durch die körperliche Außenseite von Emotionen können wir mit anderen leiblich verkörperten Personen in ein Resonanzverhältnis eintreten. Emotionen können auch in Gruppen geteilt werden. Dies wird insbesondere dann problematisch, wenn dadurch Hass weiter geschürt und radikalisiert wird.

Da Emotionen wesentlich subjektiv sind, können wir sie nur so objektivieren, dass wir über sie metaphorisch oder durch die Verwendung von Farben sprechen.