Zusammenfassung, 11. Sitzung, 5.7.2019

Die Bezeichnung „Virtuelle Realität“ wird häufig für komplexe Simulationen verwendet, in welchen die Rezipienten nicht mehr bloße passive Zuschauer sind, sondern den Fortgang einer Geschichte (fiktiv) selbst bestimmen (freilich so, dass der unterschiedliche Ausgang der Geschichte bedeutungslos ist), oder durch bestimmte Stimuli (wie etwa ein „rumble pack“, welches Kollisionen durch Vibrationen imitiert) immersiv in das Spiel einbezogen werden. Virtuelle Realitäten emanzipieren sich hingegen von ihrem rein simulativen Aspekt. Die Simulation wird hier autonom, geht Verbindlichkeiten ein, die mit einer Pluralität von beteiligten freien Subjekten zusammenhängt. Der amerikanische Philosoph John Searle spricht hierbei von einer „kollektiven Intentionalität“ oder einer „Sozialontologie“. Kulturelle Realitäten wie Institutionen werden nach Searle durch verbindliche Sprechakte konstituiert. Searle fokussiert hierbei auf einen Aspekt der Sprache, praktisch wirklich zu werden. Man nennt diese Eigenschaft auch die Pragmatik, im Gegensatz zur Semantik, die nur die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken betrifft. Digitale virtuelle Realitäten scheinen hingegen nicht allein sprachlich konstituiert zu sein. Vielmehr basieren Sie auf einem geteilten Interesse, einen intersubjektiven Vorgang auf eine bestimmte, verbindliche Weise zu realisieren. Die Digitalisierung als technischer Aspekt ermöglicht uns eine gewisse Befreiung (negative Freiheit) von räumlichen und zeitlichen Gebundenheiten. Digitalität hingegen ermöglicht uns positive Freiheit, d.h. einen neuen Raum, bisherige Phänomene auf eine andere Weise zu realisieren, und zwar so, dass es sich dabei nicht um bloße Simulationen handelt. Ein Beispiel stellt etwa die digitale Währung der Bitcoins dar, aber auch andere Lese- und Lerntechniken wie hypertextuell verknüpfter Wissenserwerb. Vor allem die Art und Weise der Kommunikation hat sich im Rahmen der Digitalität transformiert. Das Internet darf als Paradigma der Digitalität gelten. Es ist nicht so sehr ein technisches Medium, als vielmehr die Bedingung der Möglichkeit von Medialität. Das Internet stellt die Nährboden für verschiedene Phänomene der Digitalität dar. Es ist eine Grundstruktur, die eine andere Raum- und Zeitlogik aufweist als es traditionelle Medien wie Zeitungen tun. Diese Grundstruktur zeichnet sich durch ihre hochgradige Vernetzung aus: Alles kann im Internet prinzipiell mit allem Verbunden werden (z.B. über einen Hashtag auf Twitter „#“). Die Verbindung von Informationen ist nicht zeitlich seriell zu denken, sondern eher holistisch, wie ein Gedankengeflecht. Durch die Externalisierung von Gedanken und Emotionen, die man über das Internet der ganzen Welt (mit)teilen kann, kann prinzipiell alles zum Gegenstand weiterer Anknüpfung werden. Dieses Phänomen könnte man als „Interobjektivität“ bezeichnen.