Zusammenfassung: Medialität, Anthropologie und Aufklärung

Neben Platon ist insbesondere Immanuel Kant ein wichtiger historischer Bezugspunkt für eine Philosophie der Medialität. Zum einen enthält er im Rahmen seiner Aufklärungstheorie eine immer noch aktuelle Medienkritik sowie perspektiven für mediale Mündigkeit. Ferner entwickelt er einen Rationalitätsbegriff, der sich im Sinne medialer Vernunft verstehen lässt. Kant versteht unter der Vernunft allgemein das „Vermögen der Zwecke überhaupt“ (6:395). Dies bedeutet, dass wir durch unsere Vernunft Zwecke setzen, d.h. etwas als für uns erstrebenswert erkennen. Insofern etwas für uns erstrebenswert ist, besitzt es eine normative Bedeutung. Wir urteilen darüber nicht nur, welche Eigenschaften es hat, beschreiben es also nicht nur, sondern urteilen, dass es für uns einen Wert hat und erstreben es deswegen auch. Unsere Vernunft ist also, sofern sie ein Vermögen der Zwecke ist, auch ein Vermögen, Werte zu setzen und zu erkennen. Damit ist aber unsere Vernunft zugleich ein Vermögen der Mittel: „Wer den Zweck will, will […] auch das dazu unentbehrlich notwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist.“ (4:417) Rationalität und Medialität sind also nach Kant aufs Engste miteinander verbunden. Unsere Vernunft mag uns zwar erstrebenswerte Ziele und Zwecke vorgeben. Allerdings muss die Vernunft die dazu geeigneten und notwendigen Mittel erst suchen und ggf. auch erzeugen. Dadurch macht sich die Vernunft von Anderem abhängig. Der unkritische Gebrauch eines Mittels kann uns fremde Zwecke durch seine Struktur und Form latent vermitteln, die wir nicht durchschauen, da wir nur auf unseren eigenen Zweck gerichtet sind und das Mittel als „bloßes“ Mittel zum Zweck verstehen, das selbst keinerlei inhaltliche oder strukturelle Bedeutung hat. Ein Beispiel hierfür ist Platons Kritik des Mediums der Schrift, in dessen Gebrauch unser Gedächtnis heteronom bestimmt wird, insofern wir die objektive Form des Geschriebenes mit seiner objektiven Geltung verwechseln oder selbst unsere Gedanken nicht mehr lebendig halten, in der Annahme, sie wären verschriftlich bereits gesichert. Wir können in diesem Kontext von einer Mensch-Medium-Verstrickung sprechen.

Es lassen sich hinsichtlich des Verhältnisses von Mensch und Medium drei Positionen unterscheiden.

 

(1) Die Heteronomie-These lautet, dass der Mensch durch seinen Mediengebrauch prinzipiell von Fremdbestimmung bedroht ist. Eine solche These wird insbesondere mit Blick auf die neuen Medien geäußert. Dieser Auffassung liegt jedoch der Irrtum zugrunde, dass ein Medium nur in seinem falschen Gebrauch zur Heteronomie führt, wobei dieser falsche Gebrauch uns selbst zuzurechnen ist. Bezeichnend für eine solche Heteronomie-These sind etwa Bücher mit Titeln wie „Die Smartphone Epidemie“, „Cyberkrank“ oder „Digitale Demenz“. Diese Titel suggerieren, dass das Medium als solches eine Gefahr für uns darstelle, gleich so, als ob wir uns durch ihren Gebrauch mit ihnen pathologisch infizieren würden.

(2) Die Autonomie-These lautet dagegen, dass es auf unseren Gebrauch des Mediums ankommt, ob wir darin autonom bleiben bzw. unsere Autonomie vergrößern, oder ob wir darin in den Zustand der Heteronomie eintreten, indem wir nicht mehr unser ursprüngliches Ziel verfolgen, sondern davon abgehalten werden bzw. auf fremde Ziele hingelenkt werden.  Dieser These zufolge besitzt ein Medium unabhängig von seinem Gebrauch keine Bedeutung für uns, ja es ist ohne unseren möglichen Gebrauch gar kein Medium, sondern ein bloßes Objekt. Medien sind jedoch weder Objekte noch Subjekte, sondern gerade Vermittlungsinstanzen zwischen beiden, sofern wir sie gebrauchen. Wir drücken uns in Medien als Gegenständen selbst aus, schreiben uns in sie ein, so dass sie eine hybride Existenz besitzen. Medialität ist demnach eine anthropologische Grunddimension. Wir können als rationale Wesen gar nicht anders, als Medien zu gebrauchen, laufen damit aber immer auch Gefahr, in diesem Gebrauch heteronom bestimmt und damit auch unmündig zu werden.

(3) Die Identitäts-These lautet, dass wir selbst ein Medium sind bzw. ganz mit Medien verschmelzen. Eine solche These wird im Rahmen des sogenannten „Transhumanismus“ vertreten. Diesem zufolge verschmelzen wir als Menschen im Rahmen einer Singularität mit der Technik. Der US-amerikanische Transhumanist Ray Kurzweil (*1948) etwa spricht in seinem Buch „The Singularity is Near“ (2005) von einem „merger [Verschmelzung] of our biological thinking and existence with our technology“ (9). Dieser Verschmelzungsthese gemäß werden wir in Zukunft nicht mehr als leiblich verkörperte Individuen existieren, sondern als Software, die alle unsere psychologischen Eigenschaften und Erinnerungen umfasst. Wir werden demnach, als bloße digitale Medien, unabhängig von unserer materiellen Existenz werden. In seinem Buch The Age of Spiritual Machines schreibt Kurzweil: „our identity will be based on our evolving mind file. We will be software, not hardware […]. [T]he essence of our identity will switch to the permanence of our software”. Problematisch ist an der Identitäts-These, dass wir darin kein Medium mehr gebrauchen können, sondern auf das Medium der Digitalisierung reduziert werden. Wir unterliegen demnach den Bedingungen dieses Mediums, ohne uns dazu verhalten zu können.

Immanuel Kants Aufklärungsbegriff enthält auch eine zentrale Medienkritik, die nahtlos an diejenige bei Platon anknüpft, nun aber nicht nur die geschriebene Schrift, sondern auch das Medium der gedruckten Schrift reflektiert. Er schreibt dazu: „Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat […], so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. “ (8:35) So wie wir nach Platon unser Gedächtnis unmündig an die Schrift überantworten, so überantworten wir nach Kant unmündig unser Selbstdenken an das Medium des Buches. Kant betont, dass Selbstdenken ein „verdrießliches Geschäft“ ist, das wir gerne durch Mediengebrauch an andere vermitteln. Unmündigkeit ist jedoch nach Kant keine Form von menschlicher Arationalität, also dem gänzlichen Fehlen von Rationalität, sondern im Sinne von Irrationalität ein „vernünftige[r] […] Missbrauch[] seiner [scil. des Menschen] Naturgaben“ [8:36]). Wir gebrauche also unsere Vernunft auch dann, wenn wir uns von und durch Medien abhängig machen, und sind deswegen auch dafür verantwortlich. Wir gebrauchen paradoxerweise unseren Verstand dazu, um ihn am Ende nicht mehr gebrauchen zu müssen. Unsere Aufgabe des Verstandes erfolgt jedoch nicht unmittelbar, sondern vermittelt, indem wir ihn und andere rationale Vermögen verschiedenen Medien und ihren „Satzungen und Formeln“ überantworten. Die Überantwortung unserer Vermögen an ein Medium ist vermittelte Heteronomie. Unmündigkeit ist ein schleichender Prozess, der unsere rationalen Vermögen betrifft und uns „beinahe zur Natur geworden[]“ ist. Wir haben den Hang, die Mühe des Selbstdenkens im Denken selbst zu umgehen. Wir denken, dass wir durch unseren Mediengebrauch (oder genauer: Missbrauch) leichter denken und autonom handeln können. Wir bemerken dabei nicht, dass diese Erleichterung nur scheinbar ist. Unmündigkeit ist deshalb Resultat einer medialen Selbsttäuschung. Wie aber können wir dieser Unmündigkeit entgehen? Kant betont, dass es „für jeden einzelnen Menschen schwer [ist], sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten.“ (8:36) Dagegen vertritt er die These, dass „ein Publicum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich.“ (8:36) Mediale Aufklärung besteht nach Kant gerade darin, „von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“ (8:36) Dies bedeutet, dass wir sehr wohl dabei das Medium des gedruckten Buches gebrauchen können, ja sogar müssen. Denn nur so können wir uns einer medial vermittelte Öffentlichkeit stellen, die uns, im Gegensatz zu einer bloßen Blase, in unseren Meinungen korrigieren kann. Kant versteht unter dem öffentlichen Gebrauch der Vernunft eigenen Vernunft „denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publicum der Leserwelt macht […] [, dem] eigentlichen Publikum, nämlich der Welt“ (8:37) Nach dem „Weltbegriff “ der Philosophie ist „der Philosoph […] nicht Vernunftkünstler, sondern Gesetzgeber.“ (9:24) Dies bedeutet, dass wir uns im öffentlichen Gebrauch keinen fremden „Satzungen und Formen“ unterwerfen, sondern selbst Autoren der Gesetze, und damit autonom sind. Kant denkt damit die bei Platon und Sokrates als Ideal des Philosophierens gedachte mediale sprachliche Dialektik im Sinne des diskursiven Gebens und Nehmens von Gründen konsequent im Medium der gedruckten Schrift.