Zusammenfassung: Rationalität, Moralität und Ontologie von Emotionen

Wenn Emotionen Ausdruck (bzw. Heraus-Bewegung) unserer Persönlichkeit sind, dann stellt sich auch die Frage, inwiefern sie rational sind. Rationalität kann in verschiedenen Akten bestehen, wie z.B. im Vergleichen, Abwägen und Bewerten. Während ein Schmerz im kleinen Finger nichts bewertet, sondern wir ihn durch Reflexion auf ihn selbst bewerten (etwa, dass er schlecht und unangenehm ist), so bewerten oder schätzen wir durch und in Emotionen häufig (für wahr angenommene) Sachverhalte, z.B. in der Achtung, dass eine andere Person eine absolute Würde hat, oder im Neid den Sachverhalt, dass eine andere Person uns in einer bestimmten Hinsicht überlegen ist. Hier stellt sich die Frage, inwiefern Emotionen wahrheitsfähig sind, d.h. inwiefern die in ihnen ausgedrückten Urteile und Überzeugungen wahr oder falsch sein können, aber auch, inwiefern es richtig oder falsch ist, bestimmte Emotionen in bestimmten Situationen zu haben (z.B. Schadenfreude).

In seinem Buch „The Rationality of Emotion“ (1987), hat Ronald de Sousa betont, dass Vernunft und Emotion keine keinen Gegensatz darstellen. Emotionen, so de Sousa, verleihen abstrakten Kalkulationen, Abwägungen und Schlüssen diejenige motivationale Kraft, um sie in Handlungen zu überführen. Sie haben die Eigenschaft, die schier unübersehbare innerpsychische Komplexität zu steuern und zu bündeln. In Emotionen drücken wir unsere gesamte Persönlichkeit aus, weswegen Emotionen eine psychologische Einheitsfunktion besitzen. De Sousa verortet Emotionen systematisch an der Schnittstelle von Leib und Seele. Emotionen haben sowohl eine psychische wie eine leibliche Dimension, da sie sich auch nach außen hin manifestieren. Emotionen lassen sich weder nur körperlich noch rein psychisch verorten. Vielmehr sind sie der Ort, „where mind and body most closely and mysteriously interact.“ (XVI)

Wenn Emotionen intentionale Zustände sind, und wenn Emotionen eine volitionale Struktur und eine Urteilsstruktur haben, dann können sie auch moralisch bewertet werden. So darf etwa die Missgunst als eine Emotion gelten, die kulturübergreifend als negativ bzw. unmoralisch bewertet wird. Hier stellt sich nun die Frage, ob und inwiefern wir für unsere Emotionen verantwortlich sind. Da wir in Emotionen nicht wie in Affekten überwältigt werden, ist es leichter, Emotionen zu kultivieren und zu kontrollieren. Wenn Emotionen Ausdruck unserer Persönlichkeit sind, dann können wir durch Charaktertugenden Haltungen und Überzeugungen entwickeln, von denen unsere Emotionen authentischer Ausdruck sind.

Neben der Frage nach der Rationalität und Normativität von Emotionen stellt sich die Frage nach ihrer Ontologie, also danach, wie und wo sie existieren. Damit hängt eng die Frage nach ihrer räumlichen und zeitlichen Ausdehnung zusammen. Diese Frage ist bereits deswegen problematisch, da wir über Emotionen eigentlich nicht wie über Gegenstände und Objekte sprechen können, die uns gegenüberstehen und die wir messen können. Denn Emotionen sind subjektive Zustände, in denen wir uns befinden, und die wir daher nicht als ein Objekt wahrnehmen. Unsere Rede über Emotionen ist deswegen oftmals metaphorisch und bildlich, etwa dann, wenn wir ihnen bestimmte Farben zuweisen, wie etwa die Farbe Grün dem Neid. Wie alle psychischen Phänomene entstehen auch Emotionen in unserem Gehirn, doch bedeutet dies nicht, dass sie darin existieren. Dies wäre eine unzutreffende Objektivierung, denn Emotionen besitzen immer auch eine leibliche Extension, die etwa unser Herz oder unseren Bauch mit einbezieht. Dies zeigt, dass Emotionen an der Schnittstelle des Leib-Seele-Problems verortet sind. Wir können von Emotionen angemessen nur dann sprechen, wenn wir sie als subjektive Wie-Zustände (Qualia) in ihrem subjektiven Erleben verstehen und nachvollziehen. Dementsprechend besitzen Emotionen eine phänomenologische Eigenzeit und Eigen-Räumlichkeit. Die subjektive Zeit, in der wir etwa Angst erleben, kann nicht auf jene Zeit reduziert werden, die der entsprechende hirnorganische Zustand andauert. Dies wäre eine unangemessene Reduktion. Ein Angstzustand kann für die betroffene Person als quälend lang erlebt werden, während das hirnorganische Korrelat nur wenige Sekunden aktiv ist. In der Philosophie des Geistes besagt die Identitätstheorie, dass Emotionen mit bestimmten Gehirnzuständen identisch sind. Dagegen wurde eingewendet, dass sich dieselben Arten von Emotionen durch ganz verschiedene hirnorganische Zustände multipel realisieren lassen. Während Emotionen uns in der Regel vollständig erfüllen und unseren Körper mit einbeziehen, so besetzen Gefühle, wie etwa ein Schmerz, oftmals nur bestimmte, klar abgegrenzte Bereiche, wie etwa den kleinen Finger – sie sind partiell. Stimmungen hingegen sind langanhaltend und räumlich-metaphorisch mit einem Mantel zu vergleichen, der uns ganz umgibt. Stimmungen erfüllen uns also nicht, wie es Emotionen tun, sondern umgeben uns, oder lassen uns in etwas eintauchen. Diese Metaphorik zeigt jedoch gerade, dass sie nicht von derselben Innerlichkeit sind wie Emotionen. Die Räumlichkeit von Affekten wird oft so wahrgenommen, dass wir dabei neben uns stehen, dass wir also „außer uns“ sind, etwa vor Wut.