Der Begriff des Anthropozäns ist recht neu. Geprägt wurde er von dem niederländischen Meteorologen Paul Crutzen (1933-2021) Anfang der 2000er-Jahre. Crutzen hatte 1995 für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Atmosphärenchemie bzw. des Ozonlochs den Nobelpreis für Chemie erhalten. Das Anthropozän führt Crutzen als eine neue, vom Menschen geprägte geochronologische Epoche ein, die auf das Erdzeitalter des Holozäns folgt, „jene warme Periode, die sich über die letzten zehn- bis zwölftausend Jahre erstreckte.“ Crutzen lässt das Anthropozän Ende des 18. Jahrhunderts beginnen, „da Untersuchungen der in Eisbohrkernen eingeschlossenen Luftbläschen ergaben, dass die Konzentration von CO2 und Methan in der Atmosphäre in dieser Zeit weltweit zuzunehmen begann. Dieses Datum fällt überdies mit James Watts Erfindung des sogenannten Watt’schen Parallelogramms im Jahr 1784 zusammen, einer entscheidenden Verbesserung der Dampfmaschine.“ Aber gab es nicht zu allen Zeiten an verschiedenen Orten der Welt schon anthropogene Eingriffe in die Natur, die diese tiefgreifend verändert haben? Für Crutzens These spricht die Tatsache, dass die Entwicklung der Dampfmaschine und die Industrialisierung globale Konsequenzen hatten, die sich im Laufe der Zeit – als Globalisierung – über die ganze Welt verbreitet haben, verbunden mit darauf emergierenden Technologien wie der Elektrifizierung und Digitalisierung und denentsprechenden umweltethischen Problemen, die vor allem unseren Ressourcenverbrauch betreffen. Was sind aber die Faktoren des Anthropozäns – sofern dieser Begriff überhaupt sinnvoll ist? Crutzen nennt folgende Faktoren:
- „Das Wachstum der Weltbevölkerung sowie die Pro-Kopf- Ausbeutung der natürlichen Ressourcen“
- „Die Anzahl der methanproduzierenden Rinder ist auf 1,4 Milliarden gestiegen“
- „Zwischen 30 und 50 Prozent der Erdoberfläche werden heute bereits von Menschen ausgebeutet.“
- „Die tropischen Regenwälder verschwinden sehr schnell, dadurch wird CO2 freigesetzt und das Aussterben von Arten wird beschleunigt.“
- „Das Errichten von Dämmen und die Regulierung von Flussläufen sind an der Tagesordnung“
- „Über die Hälfte des verfügbaren Süßwassers wird von der Menschheit genutzt.“
- „Die Fischerei entnimmt den Auftriebsgebieten der Ozeane über 25 Prozent der primären „Produktion, in den gemäßigten küstennahen Zonen sind es sogar 35 Prozent.“
- Der Energieverbrauch hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts versechzehnfacht, der Ausstoß an Schwefeldioxid liegt heute bei etwa 160 Millionen Tonnen im Jahr – mehr als das Doppelte der Summe der natürlichen Emissionen.“
- „Der Einsatz fossiler Brennstoffe und die Landwirtschaft haben zu einem substanziellen Anstieg der »Treibhausgase« in der Atmosphäre geführt – beim Kohlenstoffdioxid um 30 und beim Methan gar um über 100 Prozent.“
- „Nach Schätzungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wird die Temperatur auf der Erde noch in diesem Jahrhundert um 1,4 bis 5,8 Grad Celsius zunehmen.
- „Viele toxische Substanzen gerieten in die Umwelt, dazu kommen Substanzen, die an sich nicht giftig sind, die aber dennoch schwerwiegende Schäden verursachen können – man denke an die Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die das »Ozonloch« über der Antarktis verursacht haben (und deren Einsatz inzwischen streng reglementiert wurde).“
Crutzen fordert daher, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „der Gesellschaft den Weg in Richtung eines ökologisch nachhaltigen Managements des Planeten im Zeitalter des Anthropozäns weisen“ müssen. Inwiefern aber kann die Philosophie zu dieser Aufgabe etwas beitragen? Kann sie eine „Ethik des Anthropozäns“ entwerfen, und falls ja, wie hat diese auszusehen, und wie kann sie begründet werden?
Das „Handbuch Umweltethik“ weist darauf hin, dass der Begriff der „Umweltethik“ erstmals Anfang der 1970er Jahre verstärkte akademische Aufmerksamkeit erlangte, was sich insofern mit der Entwicklung der beginnenden und formierenden Umweltbewegung in den 70er-Jahren deckt. Das „Handbuch Umweltethik“ vertritt die These, dass die Umweltethik einen Bereich der angewandten Ethik darstelle, „der sich mit Fragen eines auf bestimmte Weise qualifizierten (angemessenen, verantwortlichen, guten, rücksichtsvollen, klugen, tugendhaften, gerechten oder gebotenen) Umgangs der Menschen mit Natur und Umwelt beschäftigt.“ Sofern jedoch das Anthropozän ein neues geochronologisches Zeitalter bezeichnet, muss die kritische Frage aufgeworfen werden, ob eine „Ethik des Anthropozäns“ nicht doch eine neue Form von Ethik darstellt, da darin das traditionelle Verhältnis von Mensch und Natur radikal transformiert wurde.
In der gegenwärtigen Umweltethik wird zwischen verschiedenen Begründungsansätzen unterschieden (vgl. „Handbuch Umweltethik“, S. 12):
- Die Anthropozentrik stellt den Menschen ins Zentrum der Begründung und referiert dabei etwa auf unsere Vernunft und Sprache, die uns vor allem anderen Leben auszeichne.
- Der Sentientismus stellt nicht nur den Menschen, sondern auch andere Tiere ins Zentrum und betont als Kriterium für die Schützenswürdigkeit unsere Leidensfähigkeit (vgl. Pathozentrismus).
- Die Biozentrik stellt nicht nur leidensfähige Tiere, sondern alle Lebewesen ins Zentrum, die als solche eine Lebensrichtung und Teleologie aufweisen (also auch Pflanzen)
- Der Holismus stellt alle Dinge, ob belebt oder unbelebt, ins Zentrum.
Im Seminar wurde dann die Frage diskutiert, ob die Natur an sich einen Eigenwert hat. Die Teilnehmenden haben folgendermaßen abgestimmt: