Kants Theorie des höchsten Guts (13.6.2018)

Kants Theorie des Guten tritt in einer engeren und einer weiteren Form auf. Im engeren Sinne ist das Gute nach Kant allein der gute Wille, also die subjektive moralische Einstellung und Entscheidung, die einer Handlung zugrunde liegt. Im Verhältnis von Wille und Handlung kommt damit dem Willen die alles entscheidende Rolle zu; er ist, metaphorisch gesprochen, der Juwel, und seine Konsequenzen der Handlung nur seine Einfassung, die demgegenüber unwesentlich ist. Im weiteren Sinne ist das Gute nach Kant das „höchste Gut“ als Einheit von Moralität und Glückseligkeit, entsprechend der doppelten Bedeutung von „gut“ im Sinne von „moralisch“ und „angenehm“. Als solches ist es „Gegenstand des Begehrungsvermögens vernünftiger endlicher Wesen“ (V, 110). „[i]m Urtheile einer unparteiischen Vernunft“ muss nach Kant Moralität mit Glückseligkeit aufs Engste verbunden sein: Die Vernunft, die durch den kategorischen Imperativ die Moralität absolut gebietet, muss in sich zumindest das Versprechen enthalten, dass moralisches Handeln belohnt wird. Eine Vernunft, die das Moralische gebietet, dafür aber keine Glückseligkeit verheißt, wäre nach Kant überaus problematisch. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass die Aussicht auf Glückseligkeit die Bedingung moralischen Handelns sein soll. Dies wäre nach Kant gleichbedeutend mit einer bloß pflichtgemäßen Handlung, die die Moralität nur als Mittel zum Zweck gebraucht. Vielmehr fordert die Vernunft die Einheit von Moralität und Glückseligkeit und zwar so, dass die moralisch handelnde Person durch ihre Moralität glückselig werden soll. In seiner Grundlegung zur Metaphysik hatte Kant geschrieben, „daß ein vernünftiger unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines ununterbrochenen Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der gute Wille die unerlaßliche Bedingung selbst der Würdigkeit glücklich zu sein auszumachen scheint.“ (IV, 393) Die Vernunft fordert nach Kant also sowohl, dass Moralität zur Glückseligkeit führt, also auch, dass Glückseligkeit nicht ohne Moralität zu erlangen ist. Kant bestimmt insofern das höchste Gut als eine „Glückseligkeit, [die] ganz genau in Proportion der Sittlichkeit (als Werth der Person und deren Würdigkeit glücklich zu sein) ausgetheilt“ ist (V, 111). Es ist nach Kant für ein vollkommenes vernünftiges Wesen unmöglich, dass eine Person „der Glückseligkeit bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht theilhaftig […] sein“ könne.

 

Wie verhalten sich dann nach Kant Moralität und Glückseligkeit genau zueinander? Kant argumentiert, dass das Verhältnis von Moralität und Glückseligkeit als Grund und Folge auf zwei verschiedene Weisen verstanden werden kann. In logischer Hinsicht würde demnach das Streben nach Moralität (M) und Glückseligkeit (G) als eine Form von Identität oder Implikation gefasst werden, wonach das Streben nach Moralität immer schon das Streben nach Glückseligkeit enthalte (M→G). Dies widerspricht nach Kant dem Vorrang der Moralität. Moralität muss der Glückseligkeit als eine Bedingung vorausgesetzt werden, ohne dass damit bereits das Streben nach Glückseligkeit begrifflich enthalten ist. Eine andere Möglichkeit besteht darin, das Verhältnis von Moralität und Glückseligkeit nicht analytisch sondern synthetisch zu verstehen. Demnach ist die Glückseligkeit nicht begrifflich im Streben nach Moralität enthalten, sondern als eine kausale reale (nicht logische) Folge dessen zu verstehen, die begrifflich davon getrennt gedacht werden kann.

 

Kant grenzt sich diesbezüglich von zwei antiken Auffassungen des Verhältnisses ab: „Der Stoiker behauptete, Tugend sei das ganze höchste Gut und Glückseligkeit nur das Bewußtsein des Besitzes derselben als zum Zustand des Subjects gehörig. Der Epikureer behauptete, Glückseligkeit sei das ganze höchste Gut und Tugend nur die Form der Maxime sich um sie zu bewerben, nämlich im vernünftigen Gebrauche der Mittel zu derselben.“ (V, 112) Die stoische Auffassung ist nach Kant also zu eng, weil sie der Glückseligkeit keine eigene Rolle eingesteht, diese vielmehr als ein bloßes Epiphänomen oder Randprodukt der Moralität fasst. Der Epikureer hingegen ordnet die Moralität der Glückseligkeit instrumentell unter. Glückseligkeit und Sittlichkeit müssen nach Kant als „zwei specifisch ganz verschiedene Elemente des höchsten Guts“ aufgefasst werden, so dass „ihre Verbindung […] nicht analytisch erkannt werden könne (daß etwa der, so seine Glückseligkeit sucht, in diesem seinem Verhalten sich durch bloße Auflösung seiner Begriffe tugendhaft, oder der, so der Tugend folgt, sich im Bewußtsein eines solchen Verhaltens schon ipso facto glücklich finden werde), sondern eine Synthesis der Begriffe sei.“ (AA V, 112 f.)