Virtuelle Realität impliziert nicht nur ontologische, sondern auch ethische Fragestellungen. Diese betreffen vor allem die Frage, ob es virtuelle Handlungen gibt und wie diese ggf. ethisch zu bewerten sind. Gelten für sie dieselben Normen wie für physische Handlungen, oder werfen sie ganz neue ethische Probleme auf? Wir können uns dieser Frage durch das Phänomen virtueller Handlungsräume annähern, wie sie sich etwa auf digitale Weise im Internet oder im Metaversum zeigen. Das Internet ist nicht nur ein Kommunikationsmedium, in welchem Informationen ausgetauscht oder konsumiert werden, sondern Kommunikation wird immer mehr als eine Form von virtueller Handlung sichtbar, die nicht mehr körperlich gebunden ausgeübt wird. Virtuelle Handlungsräume erlauben es uns also, kausal handlungswirksam zu sein, ohne körperlich präsent sein zu müssen. Kommunikation wird im virtuellen Handlungsraum also aufgewertet, insofern diese immer kausal wirksamer wird, da andere physische Faktoren, die gemeinhin für eine Handlung relevant sind, hier durch die digitale Infrastruktur und sonstige Umstände keine Relevanz mehr besitzen. Dies erreichen sie dadurch, dass wir darin keiner raumzeitlichen Reibung und Beschränkung mehr unterliegen. Ganz ähnlich verhält es sich mit pragmatischen Sprechakten, die ebenfalls keiner physischen Kausalität bedürfen, sondern hochgradig kontextsensitiv sind, wie etwa die Aussage „Ja, ich will“ vor dem Standesamt.
Virtuelle Handlungsräume weisen eine eigene Raum- und Zeitlogik auf. Ihre räumliche Ausdehnung ist nicht so sehr physisch wie relational zu verstehen. Ein virtueller Handlungsraum ist umso größer, je mehr Orientierung er uns bietet (vgl. das Wort „cyberspace“, welches sich von gr. „kybernetes“, „Navigator“, ableitet). Wir handeln im virtuellen Handlungsraum virtuell, indem wir nicht etwa physische Handlungen nachempfinden – das wäre dann nur eine simulierte Handlung. Vielmehr handeln wir dadurch virtuell, dass wir durch Informationen virtuelle Gegenstände erzeugen und vernetzen. Die Erzeugung und Vernetzung dieser Informationen ist dabei auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet. Natürlich sind virtuellen Handlungen insofern Grenzen gesetzt, als etwa körperliche Arbeit dadurch (noch) nicht virtualisiert werden kann. Mit der Einbeziehung von künstlicher Intelligenz und Robotik ist jedoch auch dies möglich.
Eine Ethik des virtuellen Handlungsraumes reflektiert darauf, ob durch unsere virtuellen Handlungen der Raum vergrößert oder verkleinert wird, ob also der „Cyberspace“ dadurch besser oder schlechter navigierbar wird. Ein Beispiel für die Vergrößerung ist etwa das sinnvolle und bedeutungsvolle Vernetzen von Informationen auf Wikipedia. Ein Beispiel für die Verkleinerung ist die Erzeugung von Filterblasen mittels künstlicher Intelligenz, oder aber die Navigation im Darknet, welches sich von übrigen Netz abkapselt.
Virtuelle Autonomie besteht darin, dass wir nicht durch die Struktur des Handlungsraumes prädeterminiert werden, sondern dass wir durch unser Handeln selbst den Handlungsraum beeinflussen können. Virtuelle Autonomie besteht darin, dass die Struktur des Handlungsraumes unser Handeln durch bestimmte Interessen, wie etwa ökonomische, von vornherein einschränkt bzw. lenkt, ohne dass wir dies bemerken oder darauf reagieren können.
Das von „Meta“ entwickelte Metaversum erweist sich in vielerlei Hinsicht noch als Simulation und enthält streng genommen nur wenige Dimensionen virtueller Realität. Besonders zentral ist dabei das Phänomen des Avatars, den man als eine virtuelle Person verstehen kann. Wir können damit pseudonym oder anonym existieren. Der Avatar besitzt simulative und fiktionale, auch illusorische Momente, kann aber als virtueller Ausdruck unserer Individualität durchaus real sein.