Hans Jonas‘ Versuch, eine Verantwortungsethik gegenüber der Natur zu begründen, muss das Problem des Übergangs vom Sein (bzw. der Natur) auf das Sollen lösen können, welches von David Hume und Immanuel Kant hervorgehoben wurde. David Hume (1711-1776) schreibt in seinem Traktat über die menschliche Natur: „Bei jedem System der Moral, das mir bislang begegnet ist, habe ich stets festgestellt, dass der Autor eine gewisse Zeit in der üblichen Argumentationsweise fortschreitet […], oder Beobachtungen über menschliches Verhalten trifft; dann plötzlich stelle ich überrascht fest, dass anstatt der üblichen Satzverknüpfungen, nämlich ‚ist‘ und ‚ist nicht‘, ich nur auf Sätze stoße, welche mit ‚soll‘ oder ‚soll nicht‘ verbunden sind. Diese Änderung geschieht unmerklich. Sie ist jedoch sehr wichtig. Dieses ‚soll‘ oder ‚soll nicht‘ drückt eine neue Verknüpfung oder Behauptung aus. Darum muss sie notwendigerweise beobachtet und erklärt werden.“ Immanuel Kant knüpft an Humes Einsicht an, wenn er schreibt: „Das Sollen drückt eine Art von Nothwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt. Der Verstand kann von dieser nur erkennen, was da ist oder gewesen ist oder sein wird. Es ist unmöglich, daß etwas darin anders sein soll, als es in allen diesen Zeitverhältnissen in der That ist; ja das Sollen, wenn man bloß den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung. Wir können gar nicht fragen, was in der Natur geschehen soll; eben so wenig als, was für Eigenschaften ein Cirkel haben soll; sondern was darin geschieht, oder welche Eigenschaften der letztere hat.“
Hans Jonas argumentiert dafür, dass die bisherigen ethischen Ansätze nicht mehr genügen, um eine Ethik für die aktuellen technologischen Herausforderungen zu entwickeln. Denn zum einen ändert sich die Bewertung des Menschen, zum anderen auch die Bewertung und die Reichweite seiner Handlungen. Nach Jonas hat sich „das Wesen menschlichen Handelns“ (15) mit der Entwicklung der neuen Technologien, die „neuartigen Vermögen“ des Menschen geändert. Hans Jonas möchte die „anthropozentrische Beschränkung aller früheren Ethik“ (29) überwinden. Er hält die Frage für angemessen, „ob der Zustand der außermenschlichen Natur, die Biosphäre als Ganzes und in ihren Teilen, die jetzt unserer Macht unterworfen ist, eben damit ein menschliches Treugut geworden ist und so etwas wie einen moralischen Anspruch an uns hat — nicht nur um unsretwillen, sondern auch um ihrer selbst willen und aus eigenem Recht“ (29). Wir müssen nach Jonas in Erwägung ziehen, dass es nicht nur Werte für den Menschen, sondern auch ein „Gut außermenschlicher Dinge“ (29), d.h. „Zwecke an sich selbst“, die auch unabhängig vom Menschen eine normative Bedeutung haben. Der Mensch muss insofern eine „Treuhänderrolle“ (29) mit Blick auf die außermenschliche Natur einnehmen. Die (außermenschliche) Natur muss insofern als „etwas zu Achtendes“ (29) angesehen werden, obwohl sie in der modernen Naturwissenschaft nur auf „Notwendigkeit und Zufall“ (etwa im Sinne des Naturdeterminismus und der Quantenwahrscheinlichkeit) reduziert wurde, wodurch sie „aller Würde von Zwecken entkleidet“ wurde. Um der Natur auch Werte zuzugestehen, und um dabei den Sein-Sollen-Fehlschluss zu vermeiden, versucht Jonas, die Ethik in der Metaphysik zu fundieren. Im Gegensatz zu Kants Ethik, die er als „Gleichzeitigkeitsethik“ (91) bestimmt, und ihrem kategorischem Imperativ, versucht Jonas im Rahmen einer „Zukünftigkeitsethik“, einen „ontologischen Imperativ“ (91) zu begründen, der nicht nur auf faktisch existierende Menschen fokussiert, sondern auf die „Idee des Menschen“, was auch alle zukünftigen Generationen mit einschließt. Nach Jonas besitzt die gesamte außermenschliche Natur Werte, und insofern auch eine gewisse Normativität, insofern sie sich selbst Zwecke setzt und diese „unterhält“ (153): „In der Zielstrebigkeit als solcher […] können wir eine grundsätzliche Selbstbejahung des Seins sehen, die es absolut als das Bessere gegenüber dem Nichtsein setzt“ (156).