Im September 1783 erschien in der „Berlinischen Monatsschrift“, einer Zeitschrift, die von der „Berliner Mittwochsgesellschaft“ bzw. der „Gesellschaft der Freunde der Aufklärung“ herausgegeben wurde, ein provokativer Aufsatz mit dem Titel „Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei Vollziehung der Ehen zu bemühen“. Der Aufsatz verstand sich zugleich als ein Plädoyer für die Zivilehe und Kritik der kirchlichen Ehe. Der anonyme Autor schrieb darin: „[F]ür aufgeklärte bedarf es doch wohl all der Ceremonien nicht“. Der Theologe Johann Friedrich Zöllner (1753-1804) reagierte darauf im Dezember 1783 mit seinem Beitrag „Ist es rathsam, das Ehebündniß nicht ferner durch die Religion zu sanciren?“ und verteidigte darin die kirchliche Ehe. In einer Anmerkung schreibt er fast beiläufig: „Was ist Aufklärung? Diese Frage, die beinahe so wichtig ist, als: was ist Wahrheit, sollte doch wohl beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfinge! Und noch habe ich sie nirgends beantwortet gefunden.“
Der deutsch-jüdische Philosoph Moses Mendelssohn (1729-1786) nahm diese Frage zum Anlass, um den Versuch einer Definition des Begriffs der Aufklärung zu geben. Mendelssohn erörtert den Begriff der Aufklärung im Kontext der Begriffe der Kultur und der Bildung. Er stellt fest, dass diese Wörter in der deutschen Sprache noch neu sind, nur zur „Büchersprache“ gehören, aber noch nicht in der Alltagssprache verwendet werden. Es geht ihm darum, „die Grenzen derselben festzusetzen“, d.h. sie zu definieren. Mendelssohn bestimmt Aufklärung, Bildung und Kultur als „Modifikationen des geselligen Lebens“ (194), d.h. als Formen intersubjektiver Praxis. Doch sind diese Begriffe nicht auf derselben Ebene angesiedelt. Vielmehr versteht Mendelssohn den Begriff der Bildung als Oberbegriff, unter den die Begriffe der Kultur und Aufklärung fallen.
Nach Mendelssohn hängen Aufklärung und Kultur aufs Engste miteinander zusammen und können nicht voneinander getrennt werden, da sie sich gegenseitig bedingen und zur Bildung ergänzen. Sie verhalten sich also komplementär zueinander und sollen „mit gleichen Schritten fortgehen“ (199). Die Kultur betriff den Bereich des Praktischen und Nützlichen, also das Handwerk, die Künste und die „Geselligkeitssitten“. Die Aufklärung betrifft den Bereich des Theoretischen, also die vernünftige Erkenntnis, die den Bereich des menschlichen Lebens anbelangt. Mendelssohn veranschaulicht das Verhältnis von Kultur und Aufklärung am Beispiel der Sprache. Sprache ist dann aufgeklärt, wenn sie von den Erkenntnissen der Wissenschaft profitiert und somit in theoretischer Hinsicht gut verwendet werden kann. Sprache ist dann kultiviert, wenn sie durch intersubjektive Praxis und Poesie geprägt ist und somit in praktisch-ästhetischer Hinsicht von Nutzen ist.
Mendelssohn bezieht die Begriffe der Aufklärung und Kultur auf den Begriff der „Bestimmung des Menschen“, d.h. des Ziels und Zwecks menschlichen Lebens. Die Kultur betrifft die Bestimmung des Menschen als Bürger, d.h. als gesellschaftliches Wesen, die Aufklärung betrifft den Mensch als Mensch, losgelöst von konkreten gesellschaftlichen Umständen: „Die Aufklärung, die den Menschen als Mensch interessirt, ist allgemein ohne Unterschied der Stände; die Aufklärung des Menschen als Bürger betrachtet, modificirt sich nach Stand und Beruf.“ Mendelssohn unterscheidet daher zwischen Menschenaufklärung und Bürgeraufklärung, die beide miteinander in Konflikt geraten können, da sie verschiedene Ebenen seiner Existenz betreffen: „Menschenaufklärung kann mit Bürgeraufklärung in Streit kommen. Gewisse Wahrheiten, die dem Menschen, als Mensch, nützlich sind, können ihm als Bürger zuweilen schaden.“ Ziel sollte es daher sein, dass in einem Staat die wesentliche Bestimmung des Menschen und des Bürgers miteinander harmonieren. Aufklärung des Menschen bzw. der Menschheit sollte, so Mendelssohn, mit der Aufklärung der Bürger eines Staates, die verschiedenen Ständen angehören können, einhergehen.
Mendelssohn unterscheidet zwischen der wesentlichen und unwesentlichen bzw. zufälligen Bestimmung des Menschen als Menschen und des Menschen als Bürger. Die wesentliche Bestimmung des Menschen unterscheidet diesen vom bloßen Tier als freies Wesen. Die unwesentliche Bestimmung des Menschen bedeutet, dass er ein (moralisch) guter Mensch sein kann. Die wesentliche Bestimmung des Menschen als Bürger bedeutet, dass er einen Staat bilden und aufrecht erhalten kann, die unwesentliche Bestimmung des Menschen als Bürger bedeutet, dass sie „sie in einigen Nebenverhältnissen nicht mehr dieselbe“ bleiben kann. Mendelssohn beschreibt nun eine Situation, in der es zu einem Konflikt zwischen der wesentlichen und der unwesentlichen Bestimmung des Menschen kommt, indem Wahrheiten über die wesentliche Natur des Menschen seine „Grundsätze der Religion und Sittlichkeit“ gefährden. Der „tugendliebende Aufklärer“, der beide Bestimmungen des Menschen in Harmonie halten möchte, muss deswegen „mit Vorsicht und Behutsamkeit verfahren“. Mendelssohn argumentiert mit Blick auf das Verhältnis von Vernunft und Religion dafür, einen kritischen Mittelweg bzw. „die Grenzlinie zu finden, die auch hier Gebrauch von Misbrauch scheidet“ (199). Weder darf die Aufklärung der Vernunftnatur des Menschen die Religion und Sittlichkeit gefährden, noch darf Sittlichkeit und Religion auf Kosten der Vernunft verteidigt werden.
Mendelssohn betrachtet jedoch nicht nur Aufklärung und Kultur aus der Perspektive ihres Gelingens, sondern auch aus der Perspektive ihres Scheiterns und ihrer „Verwesung“ (199): „Mißbrauch der Aufklärung schwächt das moralische Gefühl, führt zu Hartsinn, Egoismus, Irreligion, und Anarchie. Misbrauch der Kultur erzeuget Ueppigkeit, Gleißnerei, Weichlichkeit, Aberglauben, und Sklaverei.“