Augustinus (354-430) knüpft in seiner Sündenlehre direkt an die Geschichte des Sündenfalls im Buch Genesis der Bibel an, gibt diesem jedoch eine spezifisch subjektive Wendung. In seinen Bekenntnissen (Confessiones) schildert Augustinus, wie er als 16-Jähriger zusammen mit Freunden eine Birne aus einem Garten stahl. Der Grund für diesen Diebstahl lag, wie Augustinus bekennt, nicht im Objekt der Begierde, also der Birne. Denn diese war, wie Augustinus schreibt, nicht sonderlich attraktiv. Vielmehr ging es ihm um den Diebstahl als solchen, um die Lust am Übertreten des 7. Gebots („Du sollst nicht stehlen“). Augustinus beschreibt den Grund des Diebstahls nicht als Reaktion auf einen Mangelzustand (nulla compulsus egestate), sondern als einen Akt des Übermuts und Überflusses: „[D]en Diebstahl selbst und die Sünde wollte ich genießen.“ (67) Es gab für den Diebstahl „keinen andern Grund […] als die Bosheit selbst“ (69). Augustinus beschreibt die Phänomenologie der Sünde eindrucksvoll am Geschmack: Es war nicht der Birnengeschmack, der die Birnen attraktiv machte, sondern der Geschmack der Sünde (72). Im Akt der Sünde wendet sich die Seele von Gott ab und ahmt ihn nach, „aber ganz verkehrt (perverse)“ (75). Augustinus scheint also hier eine Form der Perversionstheorie des Bösen zu vertreten.
In seiner Abhandlung De libero arbitrio („Vom freien Wahlvermögen“) hat Augustinus zentrale Unterscheidungen bezüglich der Frage nach dem Wesen und der Herkunft des Bösen eingeführt. Seine Philosophie des Bösen hängt aufs Engste mit theologischen Problemen zusammen. Die Leitfrage, die in dieser Schrift erörtert wird, lautet: „unde male faciamus“ (frei übersetzt mit: „Was ist der Grund des Bösen“). Die Fragepartikel „unde“ („woher“) kann mindestens auf zwei Arten verstanden werden: Zum einen im Sinne des Erfragens der Herkunft, zum andern im Sinne der Handlungsart des Bösen.
Gleich zu Beginn unterscheidet Augustinus ferner zwischen zwei Verwendungsweisen von „böse“ (malum): „Zum einen sagen wir, jemand habe etwas Böses getan, zum andern, etwas Schlechtes sei erlitten worden.“ (75) Hier wird bereits die Unterscheidung von physischem und moralischem Schlechten (malum physicum und malum morale) deutlich.
Die augustinische Theorie des Bösen basiert auf der theologischen Prämisse, wonach Gott nicht die – mittelbare oder unmittelbare – Ursache des Bösen sein kann, denn er ist allgütig und allmächtig. Es stellt sich für Augustinus folgende Frage: „Gibt es also einen anderen Urheber desjenigen Übels, das […] nicht von Gott verursacht wird?“ (75) Hier bieten sich unmittelbar zwei Möglichkeiten an: Das Böse könnte von einem dem Guten (bzw. dem Licht) diametral entgegengesetzten metaphysischen Weltprinzip (dem Dunkel) stammen (im Sinne eines Dualismus bzw. Manichäismus). Augustinus lehnt jedoch einen solchen Dualismus ab, da dies die Allmächtigkeit Gottes beschränken würde. Somit kann das Böse nur auf den Menschen selbst zurückgeführt werden.
Es verlagert sich also die Frage auf die Handlungsart des Bösen (im Sinne des „Wie“ des Bösen). Was ist es, was im Menschen dazu führt, das Böse auszuüben? Als eine erste Option bieten sich die menschlichen Neigungen und Triebe an. Aber auch diese Erklärung verwirft Augustinus. Für ihn steht fest, „daß nichts anderes den Geist zum Genossen der Begierde macht als der eigene Wille und die freie Entscheidung.“ (105) Auch kann das Böse nicht in Gegenständen (wie etwa Gift) liegen, von denen der Mensch Gebrauch macht: „Es ist völlig klar, daß nicht die Dinge selbst zu beschuldigen sind, sondern die Menschen, die sie schlecht gebrauchen.“ (123) Es ist also der Gebrauch der Dinge, der für eine gute oder schlechte Handlung ausschlaggebend ist. Die Verantwortung für das Böse trägt jedes einzelne Individuum selbst.
Wie ist ein solcher schlechter Gebrauch der Dinge näher zu verstehen? An dieser Stelle zeigt sich, dass Augustinus zwischen einer Privations- und einer Perversionstheorie des Bösen schwankt, denn das Böse besteht in der Aktivität der Hin- oder Abwendung angesichts einer universellen Ordnung des Guten: „das Böse ist seine Abkehr (aversio) vom unwandelbaren Gut und seine Hinkehr (conversio) zu den veränderlichen Gütern (mutabilia bona).“ (203) Diese Abkehr im Bösen zeigt, dass Augustinus Ansätze einer Perversionstheorie vertritt.
Damit ist jedoch die Frage nach dem Grund des Bösen nur verschoben. Denn woher kommt der Grund der Abkehr vom Guten? Hier zeigt sich, dass Augustinus auch einer Privationstheorie das Wort redet: „Jene Bewegung der Abkehr, die wir Sünde genannt haben, ist eine Bewegung zum Mangel, aller Mangel aber stammt vom Nichts.“ (205)
Augustinus scheint das Nichts („nihil“) einmal zu substantivieren, wenn er davon spricht, dass es der Grund des Bösen in der Willensentscheidung ist. Andererseits scheint er es nicht zu ontologisieren, sondern als jeglichem Zugriff entzogen (als „Negativbegriff“) zu denken, wenn er es mit Blick auf Gott behandelt, ohne einen Dualismus vertreten zu wollen.