Während sich die antike und mittelalterliche Philosophie überwiegend mit dem Seinsstatus des Guten (d.h. seiner Ontologie) und die neuzeitliche Philosophie vor allem mit seinem erkenntnistheoretischen Status befasst hatte (etwa bei Rousseau und Kant), befasst sich der englische Philosoph George Edward Moore (1873-1958) mit dem Phänomen des Guten aus sprachphilosophischer Perspektive. Er vertritt die These, dass der Begriff des Guten „im entscheidenden Sinne des Wortes keiner Definition fähig“ sei (39). „Gut“ gehört nach Moore zu den „letzten Begriffe[n] […], mit denen alles, was definierbar ist, definiert werden muß“. Damit besteht eine Nähe zu der mittelalterlichen Lehre der sogenannten „Transzendentalien“, also Grundbegriffen wie des Seienden (ens), der Einheit (unum), Wahrheit (verum) und Gutheit (bonum), die alles, was ist, auf die letztmöglich allgemeine Weise bestimmen. Der Begriff des Guten ähnelt nach Moore dem Begriff des Gelben. Wir können ihn nicht phänomenal erfassen, indem wir ihn begrifflich bestimmen. Gelb ist der konkrete (homogene) Gelbeindruck, sonst nichts. Indem wir der Auffassung sind, dass „gut“ etwa konkret bestimmt werden kann als „sich in einem angenehmen Zustand befinden“, oder „Lust verspüren“, begehen wir nach Moore einen „naturalistischen Fehlschluss“. Wir reduzieren die Komplexität des Guten auf eine Erscheinungsweise und identifizieren sie damit, treffen aber damit gerade nicht sein komplexes Wesen: „Es mag sein, daß alle Dinge, die gut sind, auch etwas anderes sind, so wie alle Dinge, die gelb sind, eine gewisse Art der Lichtschwingung hervorrufen. Und es steht fest, daß die Ethik entdecken will, welches diese anderen Eigenschaften sind, die allen Dingen, die gut sind, zukommen. Aber viel zu viele Philosophen haben gemeint, daß sie, wenn sie diese anderen Eigenschaften nennen, tatsächlich ‚gut‘ definieren; daß diese Eigenschaften in Wirklichkeit / nicht ‚andere‘ seien, sondern absolut und vollständig gleichbedeutend mit Gutheit [goodness].“ (40 f.) Moore argumentiert dafür, dass „gut sein“, nicht gleichbedeutend mit „lustvoll sein“, „begehrenswert sein“ oder gar „zu begehren begehren“ ist. Denn man kann bei jedem Begehrenswerten immer weiter fragen. „Ist es gut zu begehren, daß wir A begehren?“ (47). An dieser ‚normativen Präpositionalität‘ des Begriffs des Guten, der nicht in Lust und Begehrenswürdigkeit aufgeht, zeigt sich auch sein transzendentaler Zustand: „Wer jedoch sorgsam prüft, was er sich vorstellt, wenn er fragt ‚Ist Lust (oder was immer es sein mag) letzten Endes gut?‘ wird sich leicht vergewissern, daß er sich nicht bloß fragt, ob Lust lustvoll ist. Und wenn er diesen Versuch der Reihe nach mit jeder vorgeschlagenen Definition anstellt, so wird er wohl genügend Erfahrung sammeln, um zu erkennen, daß er in jedem Fall einen einzigartigen Gegenstand im Sinne hat, bei dessen Verknüpfung mit allen möglichen anderen Gegenständen sich eine gesonderte Frage stellt […]Jedem ist dieser Begriff stets gegenwärtig, obwohl er sich vielleicht nie vergegenwärtigt, daß er von anderen ihm bewußten Begriffen verschieden ist.“ (448). Unter dem Begriff des Guten müssen wir uns also „einen einfachen, undefinierbaren, nicht analysierbaren Gegenstand des Denkens“ denken: „Alle Wörter, die gewöhnlich als Bezeichnungen ethischer Urteile gelten, beziehen sich darauf, und sie sind nur deshalb Ausdrücke ethischer Urteile, weil sie sich darauf beziehen.“ (53) Durch diese Zentralität und Transzendentalität des Guten steht Moore sprachphilosophisch in einer Nähe zu Platons Theorie der „Idee des Guten“. Denn wie bei Moore der Begriff des Guten anderen ethischen Begriffen Bedeutung verleiht, so verleiht die Idee des Guten allen Dingen ihre Existenz.