Haben Tiere Gedanken? (12.6.2018)

In seinen Meditationen über die erste Philosophie hatte Descartes die auf den ersten Blick merkwürdig anmutende These vertreten, dass die res cogitans nicht nur durch abstrakt-kognitive Akte, sondern auch durch volitionale und emotive Vollzüge konstituiert wird: Ein denkendes Ding ist „ein Ding, das zweifelt, versteht, behauptet, verneint, will (volens), nicht will (nolens), und das sich auch etwas einbildet (imaginans) und empfindet (sentiens).“ Hier stellt sich die Frage, worin der Grund besteht, dass wir Empfindungen als genuin geistige Akte charakterisieren dürfen – haben nicht auch Tiere Empfindungen? In seinem Aufsatz „Gedankenlose Tiere“ ist der amerikanische Philosoph Norman Malcolm (1911-1990) dieser Frage weiter nachgegangen. Er argumentiert, dass nach Descartes „jedes Fühlen, jeder Wunsch, jeder willentliche Akt, jedes Gefühl und jede Empfindung einen propositionalen Kern hat.“ Demnach empfinden wir nach Descartes nicht einfach im Modus des phänomenalen Bewusstseins (des „Wie-Seins“), sondern immer im Modus des Selbstbewusstseins, was sich durch die Reflexion auf den Empfindungsgehalt in propositionaler Form „ich empfinde, dass p“ ausdrückt (also auch im Modus des „Dass-Seins“). Dies sei der Grund dafür, dass Descartes Akte wie Empfinden ausschließlich Menschen aber nicht Tieren zusprechen könne. Descartes sei der Überzeugung, „dass jede ‚mentale Tätigkeit‘ im Einnehmen einer Einstellung gegenüber einer Proposition besteht.“ (86) Denn der Grund für diese propositionale Interpretation der Empfindung liegt darin, dass wir diese auf unser Ich beziehen und von dort aus objektivieren. Dagegen argumentiert Malcolm, dass es Formen des Bewusstseins gibt, die nicht strikt propositionaler Struktur sind, wie etwa das beiläufige Kramen in der Hosentasche nach einem Schlüssel. Malcolm führt auch folgendes Beispiel an: „Ich halte mein Auto an einer Kreuzung an, weil die Ampel auf Rot steht. Ich war der Ampel gewahr und ebenso, dass sie auf Rot war. Habe ich im Stillen gedacht ‚Diese Ampel ist rot‘? Wahrscheinlich nicht.“ Daraus schließt Malcolm, dass Bewusstsein und Denken nicht notwendigerweise eine propositionale Struktur haben muss: „Es ist ein Vorurteil von Philosophen, dass nur propositionale Gedanken dem Bewusstsein zugerechnet werden können. Dies hindert uns daran, die Kontinuität von Bewusstsein zwischen Mensch und Tier wahrzunehmen.“ (94)