Philosophie des Datenschutzes

Sind Daten einmal in die Welt gesetzt worden, werden wir sie nur schwer wieder los. Daten sind mehr als nur ein Fußabdruck, sondern schwer zu verwischende Spuren. Das Wort stammt aus dem Lateinischen („datum“) und bedeutet ganz allgemein so viel wie „das Gegebene“. Gegeben ist uns sehr vieles, und um ein Datum zu sein, muss es eine bestimmte Form aufweisen. Ein Datum muss in einem gewissen Sinne „lesbar“ sein, also eine erkennbare Struktur und Ordnung besitzen. Ansonsten spricht man von bloßem „Datenrauschen“, welches völlig uninformativ ist. Daten lassen sich quantifizieren und messen. Im Gegensatz zu bloßen Daten sind Informationen noch stärker aufbereitet; sie sind verarbeitete Daten und besitzen dadurch eine propositionale Struktur im Sinne eines Sachverhalts. Informationen scheinen eine stärker qualitative als nur quantitative Struktur zu besitzen und dadurch gegenüber bloßen Daten epistemisch ausgezeichnet zu sein. Wir können den Unterschied etwa so verstehen, wie eine Textdatei auf dem Computer als Datei aus lauter Nullen und Einsen besteht, jedoch als Information eine bestimmte semantische Aussage und Bedeutung enthält. Informationen können wir im Sinne von verarbeiteten, ausgewerteten oder interpretierten Daten verstehen. Damit etwas als Datum gelten kann, muss es sich verarbeiten, auswerten und interpretieren lassen, d.h. es muss zu einer Information werden können.

Angesichts der pervasiven Bedeutung der Digitalisierung stellt sich nun aus philosophischer Sicht die Frage, wie sich dadurch die Bedeutung von Daten und Informationen verändert. Insbesondere wird dabei das Thema Datenschutz und Privatsphäre zentral. In ihrem Buch „Privacy in Context“ hat die Soziologin Helen Nissenbaum darauf hingewiesen, dass die Informationstechnologie „pervasive surveillance, massive databases, and lightning-speed distribution of information across the globe“ ermöglicht. Sie verweist zurecht darauf, dass das Problem des Datenschutzes bereits vor dem Aufkommen der neuen Medien virulent war. Daten wurden immer schon gehortet und ausgewertet, doch erst in neueren Zeiten, insbesondere durch die Erfindung des Computers, wurden Verfahren entwickelt, um Daten in gigantischen Ausmaßen zu speichern und automatisiert auszuwerten. Hier ist insbesondere die Disziplin der „Data Science“ zu nennen, die sich mit der Frage befasst, wie wir Daten möglichst effizient und durch Einsatz von künstlicher Intelligenz umfassend auswerten und zu Informationen kondensieren können.

Angesichts der umfassenden Datenerhebung, Datenspeicherung und Datenverarbeitung stellt sich die Frage, welche philosophischen Probleme damit einher gehen. Immer wieder wird darauf verwiesen, dass dadurch unsere „Privatsphäre“ bedroht wird. Der Ruf nach Datenschutz wird laut. Datenschutz bedeutet, dass bestimmte Informationen über eine Person geschützt werden, d.h. dass die Person selbst entscheiden kann, welche Informationen sie von sich wann, wo und wem zugänglich macht. Mit dem Begriff der Privatsphäre verbunden ist der Begriff der Würde der Person und ihrer Autonomie. Privatheit ist subjektiv auch mit Scham verbunden. Das Deutsche Grundgesetz stellt in Artikel 1 fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Privatsphäre bezeichnet also einen Raum der Würde, einen Raum der Intimität und Individualität, in den nicht ohne schwerwiegende Gründe von außen eingedrungen werden darf. Man denke hier etwa an eine Hausdurchsuchung. Die Verletzung der Privatsphäre bedeutet, die Person zu verobjektivieren und ihre Würde zu verletzen.

Daten können mehr oder weniger mit unserer Privatsphäre zu tun haben. Metadaten sind scheinbar äußerliche Daten über Daten, z.B. die Uhrzeit, zu der eine Person bestimmte Daten von sich bekannt gegeben hat. Je nach Interesse können jedoch auch Metadaten Rückschlüsse auf private Daten einer Person geben (z.B. Tagesrhythmus, Beziehungsstatus, Alter, Nationalität, Beruf, Bildungsniveau, Einkommen, politische Ausrichtung, …). Metadaten werden gerade dann zentral, wenn sie durch künstliche Intelligenz automatisiert nach verschiedenen Interessen ausgewertet werden können. Datenschutz bedeutet insofern aus philosophischer Perspektive, dass wir vor der instrumentellen Vergegenständlichung zu (kommerziellen) Daten geschützt werden. Wenn wir zu Daten verobjektiviert werden, drohen wir äußeren Kontroll- und Überwachungsmechanismen zu unterliegen. Diese Verobjektivierung erlaubt es, Personen aufgrund bestimmter Eigenschaften zu diskriminieren, was der Würde der Person widerspricht.

Artikel 8 der Charta der Grundrechte der europäischen Union betrifft den „Schutz personenbezogender Daten“. Er lautet: „(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. (2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken. (3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.“

In Artikel 4 der seit 2018 gültigen „Datenschutz Grundverordnung“ (DSGVO) der Europäischen Union finden wir zentrale Begriffsbestimmungen im Umkreis von Daten und Datenschutz, wobei nicht klar zwischen „Daten“ und „Informationen“ unterschieden wird. „Personenbezogene Daten“ bedeuten „alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person […] beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.“

„Profiling“ bedeutet „jede Art der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten, die darin besteht, dass diese personenbezogenen Daten verwendet werden, um bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf eine natürliche Person beziehen, zu bewerten, insbesondere um Aspekte bezüglich Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten, Aufenthaltsort oder Ortswechsel dieser natürlichen Person zu analysieren oder vorherzusagen“.

Artikel 6 betrifft die „Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“, die etwa dann erfüllt ist, wenn „[d]ie betroffene Person […] ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben [hat]“.

Worin besteht der Unterschied zwischen analogen und digitalen Daten? Digitale Daten können im Gegensatz zu analogen Daten (z.B. einer physischen Kartei) reibungslos identisch vervielfältigt und vernetzt werden. Dies erschwert den Datenschutz extrem. Speichern wir Daten auf einer Computerfestplatte, so muss diese entweder sehr aufwändig mit anderen Daten überschrieben oder physisch vernichtet werden, um alle Daten zuverlässig zu entfernen. Sobald wir unsere Daten in einer Cloud speichern, sind sie praktisch nicht mehr physisch zu zerstören. Noch komplizierter wird es, wenn wir Daten im Internet vernetzen. Wir hinterlassen im Internet Fußabdrücke, die unter Umständen dauerhaft bestand haben. Künstliche Intelligenz dynamisiert ferner das Problem des Datenschutzes durch Algorithmen und Automatisierung.

Das Internet steht dem Begriff der Privatsphäre zunächst einmal entgegen, da in ihm prinzipiell alle Daten und Informationen reibungslos geteilt und miteinander vernetzt werden können. Das Internet als neue Form von Öffentlichkeit lebt von Daten, die miteinander sinnvoll verknüpft und durch KI analysiert werden. Sofern wir das Internet nur als ein ökonomisches Konsum-Medium verstehen, sind wir in ihm schutzlos der Daten-Objektivierung ausgeliefert. Wenige Großunternehmen (Facebook, WhatsApp, Alphabet, Twitter, …) stellen kostenlos zentrale Infrastrukturen des Internets zur Verfügung, auf deren Basis unsere Daten zum kommerziellen Gut und Kapitel werden. Im kommerziellen Internet scheint Datenschutz nur schwer realisierbar zu sein. Datenschutz scheint dem kommerziellen Internet gar zu widersprechen.

Wir sind der Verobjektivierung unserer Person zu bloßen Daten im Internet jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Es hängt auch von uns ab, wie mit unseren Daten umgegangen wird. Verstehen wir das Internet nur als ein passives Konsummedium, so reduzieren wir uns selbst zu bloßen Daten. Verstehen wir das Internet hingegen als einen öffentlichen Handlungsraum, in welchem wir als Subjekte interagieren, so können wir uns der kommerziellen Vergegenständlichung entziehen. Im virtuellen Handlungsraum des Internets sind wir mehr als bloße vorliegende Datenobjekte und Datenquellen, sondern virtuelle Akteurinnen und Akteure, die autonom virtuelle Ziele verfolgen, indem sie Daten und Informationen miteinander verbinden und teilen.

Angesichts der neuen Form von Öffentlichkeit, die das Internet als virtueller Handlungsraum darstellt, wird das Prinzip der Privatsphäre problematisch. Denn das Internet scheint aufgrund seiner vernetzenden und vernetzten Grundstruktur der Idee eines abgeschlossenen Raumes zu widersprechen. Dem Prinzip der Privatsphäre wird deswegen das Prinzip der „Post-Privacy“ entgegengesetzt. Es besagt, dass wir das Prinzip der Privatsphäre aufgeben, und stattdessen das Teilen und Vernetzen von Daten nicht als eine Form von Vergegenständlichung, sondern als eine Form von Autonomie verstehen sollten, im Sinne der Bedingung der Möglichkeit des Internets als Handlungsraums.

Was spricht für, was gegen die Idee einer „Post-Privacy“? Dafür spricht, dass sich Privatheit jedenfalls nicht mehr auf die herkömmliche Art im Internet realisieren lässt. Das Internet folgt einer anderen Raumlogik als es physische Privaträume tun. Deswegen wird Privatsphäre im Internet auch von anderer Art sein müssen als im herkömmlichen Sinne. Zu nennen sind hier die virtuellen Existenzformen von Anonymität und Pseudonymität, aber auch Avatare im Sinne von künstlichen Identitäten. Gegen die Abschaffung des Prinzips der Privatsphäre spricht, dass dadurch Formen der Diskriminierung ermöglicht werden, insbesondere durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Wir sollten also im Sinne der Medienkompetenz eine „Datenkompetenz“ oder „Datenbildung“ („Data Literacy“) entwickeln – ein Bewusstsein dafür, welche Bedeutung unsere Daten im Internet haben und welche Daten wir im Internet als virtuelle Fußabdrücke hinterlassen. Darüber hinaus sollten wir das Internet nicht als eine große Datenquelle oder Datenkrake verstehen und uns selbst als Datenkonsumenten und Datenlieferanten. Vielmehr sollten wir Daten als Basis für Virtualisierungen verschiedenster Art verstehen. Wir konsumieren nicht nur Daten, sondern handeln durch diese, und die Zwecke der Handlungen bestimmen wir autonom selbst.