Zusammenfassung, 1. Sitzung, 14.4.2021: Was ist eine Emotion?

Emotionen lassen sich nur schwer von verwandten Phänomenen wie Gefühlen, Affekten und Stimmungen unterscheiden. In der Geschichte der Philosophie wurden Emotionen als Gefühle, als Evaluationen und als Motivationen bestimmt (vgl. Scarantino/de Sousa 2018), bzw. der Begriff der Emotion ließ sich in diesem Sinne philosophisch verwenden. Dies legt nahe, dass es sich bei Emotionen um äußerst komplexe Phänomene handelt, die nicht nur eine Gefühlsseite haben, sondern auch eine volitionale und rationale Dimension aufweisen. In einer ersten Annäherung, und orientiert an der Wortbedeutung, können wir Emotionen als Expressionen von Subjektivität verstehen, im Gegensatz zu bloßen Impressionen bzw. Eindrücken. Hierbei können wir die Art der Expression und der Subjektivität jeweils weiter unterscheiden. Die Expression der Subjektivität kann entweder integral, also vollständig, oder nur partiell erfolgen. Die Extension der expressiven Subjektivität kann entweder robust sein, sich also zeitlich konstant stabil und beständig erstrecken (und dann wieder abklingen), oder aber nur momentan bzw. instantan, also instabil und ephemer auftreten (und dann wieder verfliegen). Es ergibt sich damit ein Raster, welches es erlaubt, Emotionen, Gefühle, Affekte und Stimmungen vollständig anhand dieser Kriterien voneinander zu unterscheiden:

Kategorie Subjektivität Extension
Phänomen integral partiell robust momentan Beispiel
Emotion x x Liebe
Gefühl x x Hunger
Affekt x x Wut
Stimmung x x Glück/Trauer

 

Wir können diese Unterscheidungen anhand der Emotion der Liebe illustrieren. Im Gegensatz zum immer nur äußerlichen Gefühl des Hungers betrifft sie unsere gesamte Subjektivität und Individualität, ist also integraler Ausdruck unserer selbst. Im Gegensatz zum Affekt ist sie beständig, verfliegt also nicht einfach, sondern klingt höchstens langsam ab. Im Gegensatz zu einer unspezifischen Stimmung wie Trauer oder Glück ist sie intensiver, so dass sie uns zu Handlungen motivieren kann. Die Emotion erweist sich damit bereits begrifflich als Ausdruck der Freiheit. Denn ein Gefühl ist nur die Wahrnehmung bzw. Reaktion auf etwas, was in uns ist, nicht aber von uns im integralen Sinne hervorgerufen und autorisiert wird. Ein Affekt ist etwas, von dem wir geradezu passiv ergriffen werden, auch wenn er unsere Subjektivität ganz ausfüllt und uns dadurch zu Handlungen verleitet. Er hat aber nicht die Konstanz, um kontrolliert und reflektiert betrachtet werden zu können. Wir werden in ihm zu etwas hingerissen. In der Stimmung sind wir im Gegensatz zum Affekt nicht ergriffen und überwältigt, jedoch gewissermaßen in einen Zustand versetzt. Stimmungen motivieren nicht, sondern belassen uns in ihrer Robustheit kontemplativ. In der Emotion der Liebe hingegen verhalten wir uns konstant hingebungsvoll bedächtig aktiv, auch wenn oder gerade weil wir ganz durch sie erfüllt sind. Auch ist Liebe beständig; sie kommt und geht nicht einfach, verfliegt nicht wie der Affekt der Wut (nicht aber wie die Emotion des Hasses); sie ist daher eine Einstellung, die sich über längere Zeit hin erstreckt und daher auch kultiviert werden kann. Wir können nun die motivationale Kraft der Emotion als eine Funktion ihrer integralen Ganzheit verstehen, und ihre Rationalität als Funktion ihrer Robustheit, die sie zu einer Einstellung werden lässt.

In der Geschichte der Philosophie wurden manche Affekte als Emotionen behandelt bzw. zu diesen stilisiert. Dies zeigt sich etwa am Phänomen des Ekels, der nach Sartre nicht einen Affekt bezeichnet (wie etwa das würgende Zurückweichen vor einem von Maden durchsetzten, stinkenden Stück Fleisch), sondern eine metaphysische Einstellung zur Welt. Ebenso ist nach Heidegger die Angst kein ephemerer Affekt des instinktiven Zurückweichens vor einer Gefahr, sondern eine robuste metaphysische Einstellung zur Welt, die durch eine Ambivalenz gekennzeichnet ist.

Weitere mögliche Kategorisierungen von Emotionen können ihre Leiblichkeit sein, ferner ihre Intersubjektivität und ihre Normativität (ist die Emotion moralisch geboten oder verboten?). Falls jedoch Neid eine Emotion ist, so scheint er keinen leiblichen Ausdruck zu haben. Denn der Neid besteht gerade darin, sich nicht zu zeigen, sondern sich heimlich und heimtückisch zu verbergen.