Zusammenfassung 10. Sitzung, 1.7.2020 – Quines Theorie der Existenz

In seinem Aufsatz „On what there is“ (“Was es gibt”), der im Jahr 1948 erstmalig erschien, widmet sich Willard Van Orman Quine (1908-2000) dem „ontologischen Problem“, welches durch die Frage „Was gibt es?“ ausgedrückt ist. Die Antwort darauf ist zunächst einfach: „alles“. Doch bedeutet dies im Grunde nur eine Identitätsaussage, also einen analytischen Satz: „es gibt, was es gibt“. Zentral wird diese Frage dann, wenn es darum geht, was es nicht gibt. Wenn sich zwei Philosophinnen über die Frage streiten, was es gibt und was nicht, dann stehen sie vor folgendem Problem. Wenn Person A behauptet, dass das Fabelwesen Pegasus existiert, und Person B dies bestreitet, dann muss Person B zugeben, dass Pegasus irgendwie existiert, denn ansonsten könnten sich beide Philosophinnen nicht auf denselben Gegenstand beziehen. Das Wort „Pegasus“ wird von beiden Philosophinnen gleich verwendet, muss also dieselbe Referenz haben, somit irgendwie existieren: „Nicht-Sein / muß in irgendeinem Sinn sein, was gäbe es sonst, was es nicht gibt? Dieser verwickelten Lehre könnte man den Spitznamen Platos Bart geben.“ (102 f.)

Es gibt nun zwei Möglichkeiten, sich die Existenz von Pegasus zu denken. Zum einen könnte man es sich als eine geistige Idee vorstellen. Das Problem ist, dass wir uns Pegasus, wenn er existiert, körperlich vorstellen. Die geistige Idee von Pegasus und der wirkliche Pegasus sind ontologisch streng voneinander verschieden. Auch ist es nicht klar, dass unsere Idee von Pegasus eindeutig bestimmt ist (Kant würde von der „Durchgängigen Bestimmbarkeit“ reden): Wie schwer ist Pegasus, wie schnell fliegt er, und wie viele Haare hat er? Eine weitere Möglichkeit, sich Pegasus als existierend zu denken, könnte darin bestehen, Pegasus Existenz als nicht aktualisierte Möglichkeit zuzusprechen, wie eine Art Prädikat bzw. Akzidens. Pegasus existiert demnach der Möglichkeit nach, jedoch (kontingenterweise) nicht der Wirklichkeit nach. Auch könnte man noch zwischen Existenz und Subsistenz unterscheiden. Quine wendet sich gegen inflationäre Ontologien wie etwa jene, die bloß Mögliche Gegenstände als existierend annehmen. Dies wäre eine „überbevölkerte Welt“, ja ein „Slum der Möglichkeiten“ (105). Quine dagegen bevorzugt dagegen „Wüstenlandschaften“, d.h. möglichst sparsame Ontologien – ganz nach dem Prinzip von Ockhams Messer, wonach Entitäten nicht ohne Notwendigkeit vervielfältigt werden sollten. Der „Slum der Möglichkeiten“ ist zudem eine „Brutstätte verdächtiger Elemente“. Denn nehmen wir an, eine mögliche Person X mit der Eigenschaft A befinde sich an der Raumstelle Z, dann stellt sich die Frage, ob sie mit der möglichen Person W, die sich an derselben Stelle befindet, aber andere (mögliche) Eigenschaften hat, identisch ist. Inwiefern sind mögliche Dinge mit sich selbst identisch? Es scheint, dass wir deswegen anders mit Namen und Bezeichnungen umgehen müssen. Bertrand Russell hat in diesem Zusammenhang eine Theorie der Kennzeichnungen entwickelt, in denen „die Last des Bezugs auf ein Objekt“, welche Kennzeichnungsausdrücken zukommt und welche die problematische Existenz von Pegasus nahegelegt hatte, auf „gebundene Variablen“ wie „etwas“, „nichts“, „alles“ überträgt (108). Solche „quantifizierenden Wörter“ setzen nun nicht mehr voraus, dass des eine Referenz des Namens geben muss. So wird aus dem Satz „Der Autor von Waverley war ein Dichter“ kann demnach reformuliert werden durch die gebundene Variable „Etwas schrieb Waverley und war ein Dichter“, oder auch formaler: „Es gibt ein X, für das gilt: Es schrieb Waverley und war ein Dichter“. Damit verlagert sich die Last der Referenz von „Der Autor von Waverley“ auf „Es gibt ein X“, also die Frage, ob X eine gebundene Variable ist oder nicht, ob der Autor von Waverley unter einen Begriff fällt, oder nicht.

Daher „gibt es in dem entstehenden Ausdruck nichts mehr, was als Name jener vorgeblichen Entität aufgefaßt werden kann, um deren Sein es geht; so daß man nicht mehr annehmen kann, daß die Sinnhaftigkeit der Aussage voraussetzt, daß es eine derartige Entität gibt.“ (108 f.) Daraus folgt nach Quine: „Wir brauchen uns nicht mehr mit der Täuschung zu quälen, daß die Sinnhaftigkeit einer Aussage, die einen singulären Ausdruck enthält, eine Entität voraussetzt, deren Name jener Ausdruck ist. Ein singulärer Ausdruck braucht kein Name zu sein, um sinnvoll zu sein.“ (110)

 

Quine unterstellt Anhängern der These, dass Pegasus existieren muss, weil die Bezeichnung einen Sinn hat, nicht klar genug zwischen Sinn und Benanntem (bzw. nach Frege: „Bedeutung“) zu unterscheiden. Man „verwechselte den angeblichen, genannten Gegenstand Pegasus mit dem Sinn des Wortes „Pegasus“, und schloß daher, daß Pegasus sein müsse, damit das Wort einen Sinn habe.“ (111) Daraus folgt, „daß wir singuläre Ausdrücke in signifikanter Weise in Sätzen benützen können, ohne daß es Entitäten gibt, welche jene Ausdrücke benennen.“ (114) Wir gehen nach Quine keine „ontologische Verpflichtung“ über die Existenz eines Gegenstandes ein, wenn wir Singuläre Ausdrücke sinnvoll verwenden. Wir gehen ontologische Verpflichtungen nur dann ein „[d]urch unseren Gebrauch von gebundenen Variablen“ (14) der Art: „Es gibt ein X für das gilt F(x)“. Diese Einsicht fasst Quine folgendermaßen zusammen: „Als Entität vorausgesetzt zu werden, heißt ganz allein und einfach, zu den Werten einer Variablen gerechnet zu werden […]. Der Bereich der Variablen der Quantifizierung „etwas“, „nichts“, „alle“, ist unsere ganze Ontologie — was immer sie auch sei“ (114 f.). Daraus folgt nach Quine: „[Z]u sein heißt, der Wert einer Variable zu sein“ (117).