Zusammenfassung 3. Sitzung, 6.5.2020 – Platon

Die Frage, was Existenz sei, ist eine ontologische Frage. „Ontologie“ wird häufig im philosophischen Alltag synonym zu „Metaphysik“ verstanden. Die Philosophiegeschichte kennt daneben die Unterscheidung zwischen einer „Metaphysica generalis“ (einer allgemeinen Metaphysik) und einer „Metaphysica specialis“ (einer speziellen Metaphysik). Häufig wird Ontologie synonym zu Metaphysica generalis verstanden: Beide betreffen das Sein bzw. Seiende in seinen allgemeinsten Hinsichten und Kategorien. Die Metaphysica specialis hingegen betrifft die speziellere Frage nach dem höchsten Seienden (rationale Theologie), der Seele (rationale Psychologie) und der Welt(ordnung) (rationale Kosmologie). Insofern ist die Frage nach der Existenz der Ontologie bzw. Metaphysica generalis zuzuschreiben.

Platon s Ontologie ist zunächst zweiteilig. In seinem Dialog Phaidon unterscheidet Sokrates „zwei Arten des Seienden“: „das Unsichtbare als immer sich gleich verhaltend, das Sichtbare aber als niemals sich gleich verhaltend“ (Phd. 79aff.). Das Unsichtbare betrifft diejenigen Dinge (Entitäten), zu denen wir einen rein kognitiven Zugang besitzen. Solche Dinge sind nicht Wandlungen unterworfen, wie es etwas physikalische Dinge sind, die wir mittels unserer Sinnesorgane erkennen. Doch kennt die platonische Ontologie noch weitere Zwischenstufen, wie sie in dem berühmten „Liniengleichnis“ dargelegt werden. Zuunterst, fast nicht mehr existent, sind Schattenbilder, Abbilder und Illusionen. Lebewesen und physikalische Gegenstände existieren ‚mehr‘ als es bloße Schatten tun, und zwar deswegen, weil sie die konstante Einheit aller möglichen ‚Abschattungen‘ darstellen. Man kann insofern von einer „komparativistischen Ontologie“ sprechen, und „Existenz“ wird hier als eine Art Prädikat verstanden. Eine neue ontologische Stufe stellen mathematische/arithmetische und geometrische Gegenstände wie Zahlen und Dreiecke dar. Diese sind noch abstrakter und konstanter als es physikalische Gegenstände sind. Physikalische Gegenstände lassen sich mit ihrer Hilfe genau bestimmen und vermessen, und zwar mittels unseres Verstandes (diánoia). Doch setzen Mathematik und Geometrie immer noch bestimmte Axiome und Grundsätze als unhinterfragt voraus. Es handelt sich dabei nicht um unbedingte Wissenschaften. Anders verhält es sich mit der „dialektischen Wissenschaft“, von der Platon in der Politeia spricht. Diese Wissenschaft ist insofern unbedingt, als sie keine unhinterfragten Voraussetzungen macht, sondern es mit den idealen Wesenheiten und Urgründen der Existenz zu tun hat: den Ideen. Empirisch wahrnehmbare Dinge existieren nur, insofern sie an diesen Ideen teilhaben. Über diesen Ideen steht noch die Idee des Guten, die die letzte Einheit aller Ideen ist, deswegen aber „jenseits des Seins“ steht. Der Schritt von den Ideen zur Idee des Guten könnte man „transzendent“ nennen, den Rückschritt von der Idee des Guten zu den Ideen und allen darunter liegenden Dingen hingegen „transzendental“. Denn die Idee des Guten ist die Bedingung der Möglichkeit alles Seienden, die diesem Existenz und Erkennbarkeit, aber auch Sinn verleiht.