Zusammenfassung 8. Sitzung, 10.6.2020 – Alexius Meinong über unmögliche Gegenstände

Wie sich die Frage nach der Moral und der Freiheit des Menschen besonders in ihrem Rand- und Schattenbereich – z.B. dem Bösen – entscheidet, so entscheidet sich die Frage nach der Ontologie an der Frage nach „unmöglichen Gegenständen“ wie etwa einem „runden Viereck“. Der österreichische Philosoph Alexius Meinong (1853-1920) befasst sich eben mit diesem ontologischen Problem im Rahmen seiner sogenannten „Gegenstandstheorie“. Darunter versteht Meinong eine Wissenschaft von den Gegenständen, insofern sie Gegenstände sind – ganz analog zu Aristoteles‘ „erster Philosophie“ als derjenigen Wissenschaft, die das Seiende als Seienden zum Gegenstand hat. Meinongs Gegenstandstheorie basiert auf seiner Theorie der Intentionalität. Meinong spricht in diesem Zusammenhang von einem „eigentümlichen ‚auf etwas Gerichtetsein‘“. Damit ist die strukturelle Gerichtetheit des Mentalen bzw. Psychischen gemeint. Jedes Vorstellen ist Vorstellen von Etwas (einem Gegenstand der Vorstellung, bzw. der Vorstellung). Wir müssen nach Meinong zwischen dem epistemischen Akt, wie etwa dem Vorstellen, Denken und Fühlen und deren jeweiligen intentionalen Gegenständen (dem Vorgestellten, dem Gedachten bzw. Gedanken und dem Gefühlten bzw. Gefühl) unterscheiden: „Erkenntnis ist sozusagen eine Doppeltatsache, in der dem Erkennen das Erkannte als ein relativ Selbständiges gegenübersteht“. Es steht für Meinong fest, „[d]aß es allem Psychischen wesentlich ist, einen Gegenstand zu haben […]. Denn niemand zweifelt daran, daß man nicht vorstellen kann, ohne  etwas  vorzustellen und auch nicht urteilen kann, ohne über  etwas  zu urteilen“.

Meinong bemerkt, dass „[n]ichts […] gewöhnlicher [sei], als etwas vorzustellen oder über etwas zu urteilen, was nicht existiert.“ Hinsichtlich der Nicht-Existenz eines Gegenstandes unterscheidet Meinong zwischen Nicht-Existenz durch (logischen) Widerspruch, wie etwa ein „rundes Viereck“ und Nicht-Existenz durch Tatsächlichkeit, wie etwa einen „goldenen Berg“. Letzterer ist im Gegensatz zu ersterem immerhin möglich. Ferner nennt Meinong die Gleichheit oder Verschiedenheit zwischen zwei Zahlen, die auf eine andere Weise real ist wie ein Haus oder ein Baum, dennoch aber existiert bzw. besteht. Auch kann etwas zeitlich noch nicht oder nicht mehr existieren, die Vorstellung davon jedoch schon. Als weiterer Kandidat für einen unmöglichen Gegenstand kommt die Zahl Null in Frage, die die Tatsache der Nichtexistenz betrifft, als solche aber durchaus existiert.

Handelt es sich dann bei so etwas wie einem „runden Viereck“ nur um eine „Pseudo-Existenz“ oder nur ein bloßer „Lautkomplex“ ohne Bedeutung? Auch wurde durch Bertrand Russell gegenüber Meinong der Einwand gemacht, dass durch die Annahme von unmöglichen Gegenständen der Satz des Widerspruchs verletzt würde, wonach eine Sache nur entweder wahr oder falsch, aber nicht beides zugleich sein kann. Denn im Begriff eines unmöglichen Gegenstandes scheint der Widerspruch als unproblematisch gedacht zu werden: ein Viereck kann nicht zugleich Viereck und rund (d.h. ein Kreis) sein. Meinong bestreitet diese Einwände und unterscheidet zwischen Objekt und Objektiv. Während das Objekt ein Gegenstand des Vorstellens ist, ist das Objektiv ein Gegenstand des Annehmens und Urteilens. Gegenüber Kant, der zwischen hundert gedachten und hundert wirklichen Talern keinen existentialen Unterschied gesehen hatte, da für ihn Existenz kein Prädikat ist, unterscheidet Meinong den Existenzbegriff weiter. Meinong argumentiert dafür, dass sich „Existenz“ durchaus als ein Prädikat verwenden lässt, und er spricht mit Blick darauf von „Existentialbestimmungen“. Meinong unterscheidet hier „existierend sein“ im Sinne der Existentialbestimmung und „existieren“ im gewöhnlichen Sinne von „Dasein“. „Existierend sein“ kann demnach ganz formal im Sinne der Gegenstandsfähigkeit bestimmt werden, also als möglicher intentionaler Gegenstand. Diesen Sinn meinen Hume und Kant, wenn sie nicht zwischen Essenz und Existenz unterscheiden. Meinong unterscheidet aber davon noch das Dasein einer Sache, also nicht nur dem formalen intentionalen Gegebensein, sondern der Realität, also der kausalen Verbindung mit der Welt.