Zusammenfassung der 6. Sitzung, 20.11.2018: Newton und Einstein über Zeit

Während nach Newton die absolute Zeit „an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig, und ohne Beziehung auf irgend einen äußern Gegenstand“ verfließt (25), stellt Leibniz ihren absoluten Charakter infrage. Zeit ist nach Leibniz „keineswegs eine absolute Wesenheit“, sondern „lediglich eine Ordnung der Dinge“ (48). Hier stellt sich die Frage, inwiefern Zeit ein Effekt bloßer Verhältnisse von Dingen oder Ereignissen sein kann. Leibniz scheint die Zeit in logischen Relationen zu fundieren, wie etwa der Kausalität, wonach die Wirkung immer auf die Ursache folgt, oder eine Konklusion aus Prämissen, auch wenn damit nicht gesagt ist, wie lange sich diese Relation in der Zeit erstreckt.

Dass es eine so etwas wie absolute Zeit gibt, stellt Albert Einstein in seiner speziellen Relativitätstheorie infrage, die auf seinen 1905 erschienenen Aufsatz „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ zurückgeht. Durch diese revolutionäre Theorie werden folgende Annahmen des gesunden Menschenverstands mit einem Male problematisch (vgl. Stannard 2010, 7):

  • Wir leben alle im selben dreidimensionalen Raum.
  • Die Zeit vergeht für jedermann gleich schnell.
  • Zwei Ereignisse treten entweder gleichzeitig auf, oder das eine findet vor dem anderen statt.
  • Mit genügend Antriebskraft gibt es keine Grenze für die Geschwindigkeit einer Bewegung.
  • Materie kann weder erzeugt noch zerstört werden.
  • Die Summe der Winkel in einem Dreieck beträgt 180°.
  • Der Kreisumfang ist 2 pi multipliziert mit dem Radius
  • In einem Vakuum bewegt sich Licht immer geradlinig.

Angesichts dieser zentralen Themen stellt sich die Frage, inwiefern Philosophinnen und Philosophen überhaupt berechtigt sind, über die Ergebnisse der Relativitätstheorie zu diskutieren. Ist es nicht so, dass man zunächst über das physikalische und mathematische Rüstzeug verfügen muss, um sich Gedanken darüber machen zu können und zu dürfen? Dem steht die Tatsache entgegen, dass Albert Einstein seine Relativitätstheorie nur deswegen entwickeln konnte, weil er sich selbst mit philosophischen Theorien befasste, die ihn zu seiner Relativitätstheorie führten, u.a. mit dem österreichischen Denker Ernst Mach. Hinzu kommt, dass in der Physik der Maßstab des Erfolgs die empirische Aussagekraft und nicht die begrifflich-logische Kohärenz ist. Physikalische Modelle haben in der Physik nur so lange Bestand, bis sie durch neue empirische Ergebnisse widerlegt („falsifiziert“) werden können. In der Philosophie hingegen können konkurrierende Modelle koexistieren, die gleichermaßen konsistent sind, ohne dass dies den philosophischen Diskurs einschränken würde. Es ist gerade die Pluralität der Weltentwürfe und Gedankenexperimente, die den philosophischen Diskurs erst in Gang setzt und am Leben erhält. Philosophinnen und Philosophen können und dürfen deswegen sehr wohl über die Relativitätstheorie nachdenken, da sie sich damit in einen größeren Diskurs einklinken, von dem die Relativitätstheorie nur ein Teil ist.

Einsteins Relativitätstheorie lässt sich weiter differenzieren in

  • die spezielle Relativitätstheorie, die 1905 formuliert wurde, und
  • die allgemeine Relativitätstheorie, die 1916 erschien.

Während (1) die gleichförmige, nicht-beschleunigte Bewegung von Objekten in Raum und Zeit behandelt, berücksichtigt (2) beschleunigte Bewegungen und kann (1) als einen Spezialfall behandeln. Kontexte, in denen die spezielle Relativitätstheorie Anwendung findet, sind sogenannte „Inertialsysteme“, also Systeme, in denen keine Gravitationskräfte wirken. Ein Beispiel dafür ist die Erde, die sich annähernd gleichförmig um die Sonne dreht sowie ein Flugzeug, welches mit konstanter Geschwindigkeit um die Erde fliegt.