Zusammenfassung: Kant über Achtung, Mitleid und Liebe

Im Gegensatz zu David Hume, der die Vernunft als „slave of the passions“ bestimmt hatte, begreift Kant die Vernunft als den Gefühlen überlegen. Die Vernunft ist nicht Sklavin der Affekte, sondern vielmehr ihre Herrscherin, die sie kontrolliert. Diese Überlegenheit zeigt sich am moralischen Gefühl der Achtung, welches nach Kant ein vernünftiges Gefühl ist: es ist „kein durch Einfluß empfangenes, sondern durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl und daher von allen Gefühlen der ersteren Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, specifisch unterschieden“. Es kommt nach Kant also darauf an, dass die Vernunft uns zu moralischem Handeln ohne Einfluss von Neigungen und Trieben motiviert. Deswegen ist für Kant auch das Mitleid kein geeigneter Kandidat für moralische Motivation: „Selbst dies Gefühl des Mitleids und der weichherzigen Theilnehmung, wenn es vor der Überlegung, was Pflicht sei, vorhergeht und Bestimmungsgrund wird, ist wohldenkenden Personen selbst lästig, bringt ihre überlegte Maximen in Verwirrung und bewirkt den Wunsch, ihrer entledigt und allein der gesetzgebenden Vernunft unterworfen zu sein.“ Auch Liebe ist für Kant nicht für moralische Motivation geeignet: „Es ist sehr schön, aus Liebe zu Menschen und theilnehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu thun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu sein, aber das ist noch nicht die ächte moralische Maxime unsers Verhaltens, die unserm Standpunkte unter vernünftigen Wesen als Menschen angemessen ist, wenn wir uns anmaßen, gleichsam als Volontäre uns mit stolzer Einbildung über den Gedanken von Pflicht wegzusetzen und, als vom Gebote unabhängig, blos aus eigener Lust das thun zu wollen, wozu für uns kein Gebot | nöthig wäre.“ Kant kritisiert also an der Liebe, dass wir uns darin über das moralische Gesetz erheben, gewissermaßen nur aus individuellen Gründen handeln. Moralisches Handeln besteht nach Kant aber gerade darin, dass wir darin unsere Individualität zugunsten einer Allgemeingültigkeit reiner praktischer Vernunft, wie sie im Sittengesetz ausgedrückt ist, überschreiten. Es zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die Achtung drei Dimensionen aufweist, welche Emotionen qualifizieren:

(i) Gefühlsaspekt: Die Achtung manifestiert sich als Gefühl insofern negativ, als darin unser Egoismus eingeschränkt wird, was wir auch als Schmerz empfinden. Zugleich aber empfinden wir darin Erhabenheit, da wir uns über unsere natürlich-sinnliche Individualität erheben. Die Gefühlsseite der Achtung resultiert als Effekt aus der Konfrontation von individuell-empirischen und absolut-rationalem Anteilen, die wir als endliche Vernunftwesen beide in uns tragen. Die Gefühlsseite der Achtung ist gewissermaßen die Reibungsenergie, die durch deren Konfrontation freigesetzt wird.

(ii) Urteilsaspekt: Die Achtung gilt nicht einer konkreten Person, sondern dem universalen Sittengesetz, besitzt also eine Intentionalität, die auf eine abstrakte Entität gerichtet ist. Diese Intentionalität lässt sich als Wertschätzung näher charakterisieren: Es ist das Bewusstsein des Sittengesetzes und seiner absoluten Geltung.

(iii) Motivationsaspekt: Die Achtung ist „die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder“. Ihre motivationale Kraft bezieht die Achtung aus der spezifischen Einheit und Differenz von negativer und positiver gefühlsmäßiger Wirkung auf das handelnde Subjekt: „Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Thätigkeit ist Beförderung dieser Thätigkeit selbst.“ Durch das negative Gefühl des Schmerzes wird unser Eigendünkel in der Achtung abgewiesen, durch das positive Gefühl, welches aus der Perspektive unserer Vernunftanlage entsteht, werden wir, wie durch eine Waage, von der ein (negativ konnotiertes) Gewicht genommen wird, in Bewegung gesetzt.