Zusammenfassung: Kierkegaard und Heidegger über die Angst

Kierkegaard bestimmt die Angst vor dem Hintergrund seiner Theorie des menschlichen Selbst als ein geistiges Phänomen. Nach Kierkegaard gilt, „je weniger Geist, desto weniger Angst“, weshalb Tiere keine Angst empfinden können. Kierkegaard bestimmt die Angst als eine Wirkung des Nichts, die der träumende Geist empfindet, der noch nicht in die Opposition von Gut und Böse gesetzt ist, sich also noch vormoralisch verhält. Das Nichts lässt sich genauer als reine Möglichkeit beschreiben: „Träumend projektiert der Geist seine eigene Wirklichkeit, diese Wirklichkeit aber ist Nichts, dieses Nichts aber sieht die Unschuld ständig außerhalb ihrer.“ Kierkegaard bestimmt die Wirklichkeit des Geistes als seine Möglichkeit, die er in Freiheit ergreifen kann, die aber „ein Nichts ist, das nur ängstigen kann“. In diesem Zusammenhang unterscheidet Kierkegaard zwischen Angst und Furcht. Während sich die Furcht immer auf etwas Bestimmtes bezieht, wie z.B. die Spinnen (in Form der Arachnophobie), so ist die Angst viel unspezifischer und allgemeiner. Sie ist „die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit“. Die Angst zeigt sich also durch unsere Freiheit und ist darin höchst ambivalent: „Angst ist sympathetische Antipathie und antipathetische Sympathie.“ Wir werden durch die Möglichkeit(en) der Freiheit angezogen, zugleich aber ängstigen wir uns auch vor dem Ungewissen.

Martin Heidegger knüpft an Kierkegaards Begriff der Angst im Rahmen seiner Fundamentalontologie des Daseins an. Er bestimmt die Angst als „Grundbefindlichkeit“ des Daseins. Wie Kierkegaard unterscheidet er scharf zwischen Angst und Furcht. Während die Furcht sich immer auf einen konkreten Gegenstand bezieht (z.B. Spinnen), so ist das „Wovor“ der Angst das „In-der-Welt-sein als solches“. Wie bei Kierkegaard ist also der Grund der Angst „völlig unbestimmt“ und hängt mit der Möglichkeit unserer Freiheit zusammen. In der Angst begegnen wir dem Nichts insofern, als alles, was konkret in der Welt existiert „belanglos“ wird (vgl. Sartres Begriff des Ekels, aber auch Kierkegaards Begriff der Verzeiflung). Nach Heidegger hat die Angst damit aber eine positive (man könnte mit Kant sagen: „transzendentale“) Funktion. Denn sie ist die Bedingung der Möglichkeit einer Erschließung der Welt als Welt. In der Angst zeigt sich die existenzielle Freiheit, die darin besteht, sich selbst zu entwerfen. In der Angst wird so das Dasein als „Möglichsein“ sichtbar, und die Angst „offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbstwählens und -ergreifens.“

Indem die Angst nicht wie die Furcht auf bestimmte Objekte bezogen ist, die sie zu einem Affekt machen, besitzt sie eine gewisse Beständigkeit und Ausdehnung, die Reflexion ermöglicht. Insofern lässt sich die Angst als eine Furcht zweiter Ordnung bestimmen. Nicht Furcht vor einem bestimmten Gegenstand, sondern vor der Gegenständlichkeit unserer Möglichkeit überhaupt.