Zusammenfassung Zeit-Seminar, 14. Sitzung, 29.1.2019 – Heidegger (2)

Martin Heidegger knüpft an Henri Bergsons Zeittheorie an, dynamisiert diese aber noch weiter. Bergson hatte die Tendenz der Verräumlichung der Zeit kritisiert und auf die organische Verfasstheit der bewussten Zeitdauer (durée) verwiesen. Heidegger betrachtet nun die Zeit nicht mehr nur aus einer subjektiven, innerpsychischen Perspektive, sondern im Rahmen einer Ontologie, also Lehre vom Sein. Er bezieht die Dynamik der Zeit auf die menschliche Existenz, die immer eine endliche ist und aus sich durch intentionale Relationen „heraus-steht“. Das Dasein, welches endliche menschliche Existenz auszeichnet, ist immer relational verfasst. Es befindet sich immer schon in der Welt, und steht zu dieser in der Befindlichkeit der Sorge. Sorge meint hier nicht so etwas wie Angst oder Befürchtung, sondern eher so viel wie „Sorge tragen“, also Verantwortung gegenüber der Welt zu haben, was letztlich in unserer Freiheit gründet. Die Sorgestruktur des Daseins erschließt sich über die Zeitlichkeit. Die Zeit bildet den „Horizont“, vor dem das Dasein überhaupt in seinen Verhältnissen zu sich selbst und zur Welt verstehend und sorgend existieren kann. Diese zeitliche Existenz ist immer eine Existenz des „faktischen Seinkönnens“, betrifft also seinen Freiheitsentwurf in der Zeit. Heidegger bestimmt die Zukunft nicht als etwas, was auf einen von der Ferne zuläuft, sondern als „die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt“. Das Dasein entwirft sich im Horizont der Zeitlichkeit, indem es sich von seinem letzten Ende, dem Tod, her versteht und bis an diese Grenze „vorläuft“. Es bezieht sich dabei auf eine mögliche Existenzweise. Es bindet diesen Entwurf an seine „Geworfenheit“ zurück, die immer eine „Gewesenheit“ ist, insofern sie eine Geschichte hat. Aus diesen zwei Extasen – der Zukunft und Gewesenheit – entspringt dann die Gegenwart, die durch Entschlossenheit gekennzeichnet ist und sich der Welt durch ein „unverstellte[s] Begegnenlassen“ öffnet.

Heidegger bezeichnet die Einheit der drei Extasen als „Sich-vorweg-schon-sein-in (einer Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“. Die Zeitlichkeit des Daseins zerfällt in drei Momente der intentionalen Bezugnahme: „Zukunft, Gewesenheit, Gegenwart zeigen die phänomenalen Charaktere des ‚Auf-sich-zu‘, des ‚Zurück auf‘, des ‚Begegnenlassens von‘“. Damit bringt Heidegger unserer gewohnte Ordnung der Zeit durcheinander. Nicht mehr ist die Zeitlichkeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geordnet, sondern die Gewesenheit entspringt der Zukunft und dem entwerfenden Zurückkehren des Daseins. Ebenso „entlässt“ die Zukunft die Gegenwart aus sich, nachdem das Dasein sich in seinen Möglichkeiten entworfen und zu sich selbst zurückgekehrt ist, nicht mehr nur als Möglichkeit, sondern als Wirklichkeit der Freiheit. Diesen zugleich vergangenen wie auch gegenwärtigen Charakter der Zukunft nennt Heidegger die „gewesende“ Zukunft, indem er grammatikalisch das Partizip Präsens („wesend“) und das Partizip Perfekt („gewesen“) in einem einzigen Wort fusioniert.