Zusammenfassungen: (Un)moralische Emotionen

In der Geschichte der Philosophie wurde von verschiedenen Seiten bestritten, dass Emotionen einen Bezug zur Rationalität haben. David Hume (1711-1776) etwa vertrat die These, dass die Vernunft nur eine „Sklavin der Affekte (passions)“ sei. Nach seinem Verständnis beurteilen wir nicht Handlungen auf ihre Moralität durch unsere Vernunft, sondern fühlen sie vermittelt durch unsere Affekte. Hume zählt das Mitleid zu den indirekten Affekten, während er den Schmerz als direkten Affekt versteht. Mitleid entsteht aus der Reflexion des Mitgefühls mit einer anderen Person, also dann, wenn uns die Affekte anderer Menschen „in lebhafter Weise berühren und ein Gefühl hervorrufen, das dem Original gleicht“. Das Mitleid entsteht also dadurch, dass wir das Leid einer anderen Person als schwaches Abbild in uns verspüren und darauf reagieren, was nach Hume nur durch unser Vermögen der Einbildungskraft möglich ist.

Im Gegensatz zu Hume erblickt Arthur Schopenhauer den Grund des Mitleids in einer natürlichen Anlage, die er „Herz“ nennt. Mitleid ist die einzig authentische moralische Triebfeder, weil es uns unmittelbar berührt und nicht erst über den Umweg der Vernunft begründet werden muss. Das Mitleid ist jedoch nicht nur phänomenologisch ausgezeichnet durch eine besondere motivationale Kraft, sondern auch durch eine mehr oder weniger explizite Normativität, denn es ist durch die „Stimme“ eines natürlichen Imperativs charakterisiert, der je nach Situation lautet „Schone!“ und „Hilf!“.

Anders als Hume und Schopenhauer ist Immanuel Kant der Auffassung, dass nicht unser Gefühl, sondern unsere Vernunft Moral begründen und zur Moral motivieren muss und auch kann. Am Mitleid kritisiert Kant deswegen, dass es nicht in der Lage ist, der Objektivität der Moral gerecht zu werden. Mitleid ist ihm zufolge nur eine Art von Neigung, die er als „blind und knechtisch“ bezeichnet. Damit meint Kant, dass Neigungen keinerlei Verbindlichkeit beanspruchen können, sondern nur individuell beliebig sind. Deswegen bezeichnet er auch das Mitleid als Gefühl der „weichherzigen Theilnehmung“, das jeder Überlegung voraus geht und uns dadurch verwirrt und keine moralische Orientierung bietet. Das „moralische Gefühl der Achtung“ hingegen ist nach Kant ein „vernunftgewirktes“ Gefühl, d.h. ein Gefühl, das nichts mit Neigung zu tun hat. Als ein vernünftiges Gefühl ist es Ausdruck unserer moralischen Vernunft, insofern wir darin ein Interesse für die Moral erleben. Damit ist die Achtung aber auch eine Emotion, die unsere Freiheit und Autonomie ausdrückt. Da wir nach Kant nicht nur rein vernünftige Wesen sind, sondern auch leiblich gebunden, erfahren wir in der Achtung neben der moralischen Erhabenheit auch eine Art Demütigung unserer von Neigung bestimmten Natur. Damit drückt die Achtung unsere komplexe leib-seelische Verfassung als Menschen aus und erweist sich als eine Emotion, die sowohl eine rationale wie motivationale Dimension besitzt. Die Liebe ist ebenso wie das Mitleid nicht dafür geeignet, eine moralische Emotion und Quelle moralischer Motivation zu sein. Denn Liebe impliziert nach Kant die Überzeugung, uns „über den Gedanken von Pflicht wegzusetzen und, als vom Gebote unabhängig, blos aus eigener Lust das thun zu wollen, wozu für uns kein Gebot nöthig wäre“.

Die Liebe darf als eine Oppositionsemotion zur Emotion des Hasses gelten. Wie der der Hass als Emotion dem Affekt der Wut insofern entgegengesetzt ist, als er nicht im Moment aufgeht, sondern als eine Einstellung längerfristige Tragfähigkeit besitzt und auch rational kultiviert werden kann, so ist die Liebe dem Affekt der Triebhaftigkeit entgegengesetzt. In ihrer 1929 erschienenen Dissertation über den Liebesbegriff bei Augustin unterscheidet Hannah Arendt verschiedene Formen der Liebe. Der Begriff des amor dient dabei als Überbegriff. Sofern er auf etwas Weltliches und Vergängliches gerichtet ist, handelt es sich dabei um die cupiditas, also das Begehren. Sofern sich der amor auf die Ewigkeit und das Unvergängliche richtet, handelt es sich dabei um die caritas. Diesem lateinischen Begriff entspricht der griechische Begriff der agape. Traditionell wird der lateinische Begriff des amor mit dem griechischen Begriff des eros gleichgesetzt. Tendenziell bezeichnet der eros eine metaphysische Aufstiegsbewegung, während die agape nach christlichem Verständnis eine metaphysische Abstiegsbewegung bedeutet. Es stellt sich die Frage, welche der verschiedenen Dimensionen – die rationale, die motivationale bzw. voluntative oder die phänomenale – in der Emotion der Liebe besonders stark ausgeprägt sind.

Harry Frankfurt (1929-2023) versteht die Liebe nicht als etwas Gefühlsmäßiges, noch als etwas Rationales, sondern als etwas Willensmäßiges. Liebe ist Ausdruck unserer individuellen Persönlichkeit. Indem wir lieben, verpflichten wir uns auf verbindliche Einstellungen und Verhältnisse wie Treue und Sorge, ohne dass diese damit gleich moralisch zu verstehen wären. Indem wir uns in der Liebe freiwillig auf etwas verpflichten, geben wir uns selbst ein persönliches Gesetz, unterwerfen uns unter eine willensmäßige Notwendigkeit, was Frankfurt als eine Form von Autonomie versteht. Diese willentliche Notwendigkeit zeigt sich in Treue und Sorge gegenüber der geliebten Person. Damit ist die Liebe für Frankfurt eine „Quelle von Gründen“ für unser Handeln.

Traditionell wird der Liebe der Hass gegenübergestellt. In seinem philosophischen Hauptwerk Das Sein und das Nichts (1943) thematisiert Sartre das Phänomen des Hasses aus einer existenzphilosophischen Sicht. Der Hass gilt intentional nicht einer bestimmten Eigenschaft einer anderen Person, sondern ihrer Existenz als solcher. Wir verabscheuen eine Person aufgrund bestimmter Eigenschaften, aber wir hassen sie als ganze. Nach Sartre impliziert der Hass eine negative Form der Anerkennung des Anderen, die dessen subjektive Transzendenz zu einem Objekt machen und sie so vernichten möchte. Wir hassen nach Sartre als Reaktion darauf, das Objekt der Freiheit des Anderen zu sein, was als Demütigung erfahren wird: „der Anlaß, der den Haß hervorruft, ist einfach die Handlung des Andern, durch die ich in den Zustand versetzt worden bin, seine Freiheit zu erleiden.“ Sartre beschreibt den Hass als ein „schwarzes Gefühl“: „ein Gefühl, das auf die Beseitigung eines andern abzielt und das sich als Entwurf bewußt gegen die Mißbilligung der anderen entwirft“. Sartre Diagnostiziert eine Dialektik des Hasses die darin besteht, dass im Hass der Andere gerade nicht vernichtet, sondern vielmehr in seiner Freiheit anerkannt wird. Was spricht dafür, den Hass mit der Farbe Schwarz zu konnotieren? Der Hass ist im Gegensatz zur Abscheu unbegrenzt und damit bodenlos und abgrundtief, wie wenn wir in einen Abgrund hinunterblicken und kein Ende sehen. Im Gegensatz zur Wut ist der Hass kein kurzzeitiger Affekt, der dann wieder verfliegt, sondern eine negative Einstellung, die über die Zeit hinweg dadurch aufrecht erhalten und gesteigert wird, dass sie mit rationaler Überlegung und Gründen genährt und entfacht wird. Der Hass lodert und muss immer wieder neu mit Argumenten befeuert werden. Eine solche negative emotionale Energie über längere Zeit aufrecht zu erhalten ist nur dann möglich, wenn diese Einstellung innerhalb einer umfassenden Ideologie verortet ist. Deswegen vollzieht sich Hass oftmals in hochgradig politisierten und ideologisierten Kontexte, wie in Kriegen.

Von allen unmoralischen Emotionen darf der Neid als eine der komplexesten gelten. Das Phänomen ist nicht schon dadurch charakterisiert, dass eine Person A gerne so wäre wie eine Person B oder gerne ein Gut C – sei es ein Wert, ein Gegenstand, eine Eigenschaft oder eine Fähigkeit – der Person B hätte, das sie selbst nicht besitzt. Vielmehr ist Neid mit einem Unlust- oder Schmerzgefühl für Person A verbunden, die sich hinsichtlich C mit B vergleicht und ihren Mangel als ungerechtfertigt und empörend empfindet. Aristoteles hat dies folgendermaßen beschrieben: „Ein leidenschaftliches Unlustgefühl ist nämlich allerdings auch der Neid, und zwar bezieht auch er sich auf das Glück eines anderen, aber nicht auf das eines Unwürdigen, sondern auf das eines, der nach Berechtigung und Stellung im Leben unsers Gleichen ist.“ (Rhetorik, 1386b). Immanuel Kant bestimmt den Neid als „Hang das Wohl Anderer mit Schmerz wahrzunehmen, obzwar dem seinigen dadurch kein Abbruch geschieht“ (Metaphysik der Sitten, AA VI, 458). Neid kann nur in einem Raum oder Kontext auftreten, den Rousseau als „Vernunftzustand“ dem „Naturzustand“ entgegengesetzt hatte. Während im Naturzustand die Menschen durch eine gesunde Selbstliebe und das Mitleid miteinander harmonieren, so tendieren Sie durch die Vernunft dazu, sich mit anderen zu vergleichen. Räume und Kontexte des Neides sind Konkurrenzsituationen, offensichtliche Werte und Stärken, normative Kontexte wie Schulen und wertorientierte Kontexte wie das Finanzgewerbe. Der Neid scheint eine bestimmte Form der Entwicklung eines Menschen vorauszusetzen, auch wenn er sich bereits im Phänomen des „Futterneides“ bei Tieren findet, wenn sie sich ungleich behandelt fühlen und in der Folge nicht mehr kooperieren. Es stellt sich jedoch die Frage, ob man Tiere um etwas beneiden kann. Hier scheint die notwendige Vergleichsebene zu fehlen, die im Neid vorausgesetzt wird. Im missgünstigen Neid wird das Gut des anderen als Grund oder Anlass des eigenen Schmerzes verstanden, der aus dem unterlegenen Vergleich resultiert. Neid entsteht aus Ohnmacht, die wiederum mit Scham verbunden ist. Eine naheliegende Reaktion auf diesen Schmerz oder die Kränkung besteht dann darin, diesen Grund zu beseitigen. Mehr noch: Die andere Person wird für den eigenen Schmerz verantwortlich gemacht und ist nicht selten überrascht von dieser Argumentation des Neiders. Dies ist freilich ein Fehlschluss, der dem Neider jedoch nicht bewusst ist. Hier stellt sich die Frage, ob Neid nur dann auftritt, wenn eine andere Person einen Vorzug verdientermaßen besitzt, oder auch dann, wenn sie sich diesen ungerechterweise zugeignet hat. Für die Struktur des Neides als Missgunst ist es jedoch wesentlich, das Gut C der Person abzusprechen, insofern es ihr nicht gerechterweise gebührt, sondern, wenn schon, dann einem selbst. Es stellt sich ferner die Frage, ob Neid ein Gefühl oder eine Haltung ist. Ohne Frage ist Neid phänomenal durch eine gewisse emotionale Tönung charakterisiert, die etwa dann beschrieben wird, wenn man davon spricht, dass eine Person „grün“ oder „gelb“ vor Neid ist. Damit ist im Unterschied zur Farbe Rot gemeint, dass Neid nicht energisch nach Außen sich entlädt, sondern sich im Zerknirschen, im Gram oder Selbstmitleid der neidischen Person innerlich manifestiert.