Mord, Neid, Rache, Heuchelei, Schamlosigkeit, Schadenfreude, Eifersucht und Mobbing sind ohne Frage Formen des Unmoralischen. Aber worin unterscheiden sie sich kategorisch voneinander? Es bietet sich an, die jeweiligen Formen in innerliche und äußerliche Phänomene zu unterscheiden. Unmoralische Handlungen und Verhaltensweisen zeigen sich dem Betrachter, sie „treten zutage“. Haltungen und Gefühle können verborgen sein. Die genannten Phänomene lassen sich folgendermaßen klassifizieren:
Äußerlichkeit | Innerlichkeit (Motiv) | ||
Handlungen
(klar unterscheidbare Akte in Raum und Zeit, die ein bestimmtes Ziel verfolgen) |
Verhalten
(äußerlich wahrnehmbare Zeichen und Signale, die ein Akteur aussendet und die auf eine Haltung oder Absicht schließen lassen, auch wenn diese nicht klar zutage Tritt) |
Haltung
(innere Einstellung oder Maxime, die sich nicht unbedingt als Verhalten oder Handlung zeigen muss. Doch ist sie propositional verfasst) |
Gefühl/Affekt Emotion, Motiv(innere Gemütsstimmung, die verborgen existieren kann; sie ist nicht unbedingt propositional verfasst) |
Mord Heuchelei Mobbing… |
Schamlosigkeit
Unverschämtheit Respektlosigkeit … |
Neid? Eifersucht? |
Neid? Eifersucht? Schadenfreude Rache |
Man sieht am Beispiel des Neides, dass er sich nicht eindeutig als Gefühl oder als Haltung klassifizieren lässt. Neid ist einerseits stark emotional getönt. Auf der anderen Seite beinhaltet er eine Art Schluss oder Vergleich, durch den sich der Neidische gerechtfertigt sieht. Derjenige, der Neid empfindet, wird dies nie zugeben. Er wird den Neid als gerechtfertigte Reaktion auf eine erlittene Ungerechtigkeit verstehen. Es könnte sich dabei also auch um eine Haltung handeln, die von Selbsttäuschung begleitet ist.
Unmoralische Handlungen wir etwa Mord lassen sich als Funktion von innerlichen Formen des Unmoralischen weiter verstehen. So kann etwa ein bestimmter Mord M1 auf Basis von Eifersucht geschehen und zusätzlich im Gefühl der Rache sein Motiv finden. Ein anderer Mord M2 kann erfolgen durch Hass und Neid. Ein und dieselbe unmoralische Handlung kann also aus ganz unterschiedlichen Motiven erfolgen. Um sie zu verstehen, müssen wir auf die Haltungen und Gefühle, sprich die Motive fokussieren, die sie fundieren. Verstehen heißt hier freilich nicht, sie gutzuheißen, sondern den Gründen nachzuspüren, die sie ermöglicht haben, auch wenn es sich nicht um gute Gründe handelt.
Eine besonders komplexe Art des Unmoralischen stellt die Handlung des Mobbings dar. Warum sollten sich Philosophen mit dem Phänomen des Mobbings beschäftigen? Ist dafür nicht eher die Soziologie oder die Psychologie zuständig? Das Phänomen des Mobbings wird dann philosophisch relevant, wenn wir seine Motive, Gründe, Umstände und Strategien in den Blick nehmen. Ursprünglich wurde der Begriff durch den Verhaltensforscher Konrad Lorenz geprägt. Er bezeichnete damit „ein aggressives, jeweils artspezifisches Gruppenverhalten gegenüber einem als feindlich empfundenen «Eindringling».“ (Pollmann 2010, 173). Es ist sicherlich problematisch, Verhaltensweisen und Handlungen aus dem Tierreich als Folie für menschliches Verhalten zu wählen. Denn während menschliche Handlungen aus Freiheit geschehen und daher individuell zurechenbar – zu tadeln und zu loben – sind, gilt dies bei tierischem Verhalten nicht. Die Natur scheint keine Moral zu kennen. Vertritt man eine andere Auffassung, läuft man Gefahr, einen „naturalistischen Fehlschluss“ oder einen „Sein-Sollen-Fehlschluss“ zu begehen.
Das englische Wort „Mob“ bedeutet so viel wie „Meute“. Dies deutet auf einer Struktur des Mobbings hin: Es geht meist um ein Gruppenverhalten, dass sich gegen eine einzelne Person richtet. Dieses Gruppenverhalten kann eine gewisse Dynamik und Radikalisierung erfahren. Hinzu kommt, dass sich Mobbing häufig in klar umrissenen Kontexten abspielt, z.B. in Schulen oder in Unternehmen. Menschen können hier nicht ausweichen, sondern begegnen sich ständig.