Nicht nur Moses Mendelssohn (Zusammenfassung), sondern auch Immanuel Kant sah sich durch die Frage „Was ist Aufklärung?“ des Theologen Johann Friedrich Zöllner herausgefordert. Er verfasste ein Jahr nach dessen Beitrag ebenfalls in der Berlinischen Monatsschrift einen Aufsatz mit dem Titel „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“. Kant bestimmt Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“
Es gilt deswegen, die Wendung „selbst verschuldete Unmündigkeit“ genauer zu bestimmen und ebenso auf die Metaphorik der Bewegung im Raum zu reflektieren. Den Begriff der Unmündigkeit bestimmt Kant als „das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. Sie ist deswegen nach Kant „selbst verschuldet“, weil ihr Grund nicht im „Mangel des Verstandes“ – also einer Einschränkung liegt, für die wir selbst nicht verantwortlich sind, sondern im Mangel der „Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen“. Wir sind also nach Kant insofern aufgeklärt, als wir aus freier, mutiger Entscheidung und eigenen Gesetzen (autonom) heraus unseren Verstand gebrauchen. Kant formuliert den „Wahlspruch der Aufklärung“ im Sinne eines (kategorischen) Imperativs: „Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Hieran zeigt sich, dass Aufklärung nach Kant ein normativer Maßstab ist, an dem wir unseren Vernunftgebrauch kritisch überprüfen können. Der Grund unserer Unmündigkeit liegt nach Kant nicht in komplizierten Umständen, sondern ganz einfach in unserer „Faulheit und Feigheit“ und Bequemlichkeit, den Gebrauch unseres Verstandes an andere zu delegieren und uns von ihnen abhängig zu machen, d.h. unsere Autonomie abzugeben und heteronom – durch fremde Gesetze bestimmt werden. Eine besondere Rolle bei der Aufgabe der eigenen Autonomie spielen nach Kant verschiedene Formen der Medien, die unsere eigenen Vermögen ersetzen können. Unser Verstand, unser Gewissen und unsere Urteilskraft können wir an andere delegieren: „Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurtheilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.“ Ein zentrales Medium, durch welches ich sogar mein Denken selbst delegieren kann, ist das Geld: „Ich habe nicht nöthig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.“ Kant bestimmt den Prozess der Aufklärung anhand von verschiedenen Metaphern der Bewegung im Raum. Unmündige Menschen befinden sich nach Kant in einem „Gängelwagen“, also einer Lauflernhilfe für Säuglinge. Unmündige Menschen haben Angst, selbständig laufen (d.h. denken) zu lernen und bleiben lieber im Gängelwagen gefangen, als zu riskieren, dass sie hinfallen.
Aber auch von institutioneller Seite her droht Unmündigkeit durch „Satzungen und Formeln“, die Kant mit Blick auf den Menschen als die „mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben“ und „Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit“ bestimmt. Durch sie werden Menschen also in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und sind nicht in der Lage, „auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung thun“. Einen „sicheren Gang“ können deswegen Menschen nur schwer „durch eigene Bearbeitung ihres Geistes“ erreichen. Während es nach Kant „für jeden einzelnen Menschen schwer“ ist, sich aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszubewegen, ist es hingegen für ein „Publikum“, also die Öffentlichkeit, „eher möglich“, dass sie „sich selbst aufkläre“ und den „Geist der Freiheit“ verbreitet. Allerdings kann dieser öffentliche Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit im Sinne einer „Reform der Denkungsart“ nach Kant nicht im Rahmen einer plötzlichen „Revolution“ erfolgen. Vielmehr ist für eine solche Reform nur die „Freiheit“ erforderlich, „von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen“ und so durch eine „Reform der Denkungsart“ im Sinne eines öffentlichen und politischen Bildungsprozesses den „Geist der Freiheit“ zu verbreiten. Während ein öffentlicher Gebrauch der Vernunft durch einen Gelehrten „vor dem ganzen Publicum der Leserwelt“ stattfindet, kann der „Privatgebrauch“ in bürgerlichen Funktionen erfolgen, und hier ist es oft nötig, im Sinne eines „Mechanism“ zu gehorchen, um eine stabile soziale Struktur aufrecht zu erhalten. Jeder Mensch kann also nach Kant zwei verschiedene Rollen in der Gesellschaft einnehmen: Die Rolle des Bürgers, der an die jeweiligen Vorgaben und Gesetze seines Berufs und Amts gebunden ist (und der instrumentellen Vernunft folgt), und die Rolle des Gelehrten, der von diesen Vorgaben frei ist und frei darüber autonom reflektieren kann. Als solcher spricht ein gelehrter Mensch durch seine Schriften nicht, wie ein Bürger, zu einer „Versammlung“, sondern „zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt“. Zwar ist es nach Kant erlaubt, dass ein Mensch die Aufklärung aus privaten Gründen ‚aufschiebt‘. Er darf jedoch nicht „auf sie Verzicht tun“. Dies würde bedeuten, „die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten“. Kant spricht von einem „Hang und Beruf zum freien Denken“, den jeder Mensch in sich trägt, und der sich in der Öffentlichkeit langsam entwickeln kann, so dass er sich am Ende „auf die Sinnesart des Volks“ und der Regierung auswirkt, so dass es möglich wird, „den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.“