Zusammenfassung: Kants Begriff einer Metaphysik der Sitten

Grundsätzlich müssen wir zwischen Ethik und Moral bzw. Sitten unterscheiden. Unter Moral und Sitten verstehen wir in Gesellschaften gültige und geforderte Verhaltensweisen im Umgang miteinander. Moral und Sitten sind also normativ. Sie beschreiben nicht nur, wie in Gesellschaften gehandelt wird, sondern wir man darin handeln soll. Die Moral bzw. die Sitten können, müssen aber nicht kodifiziert sein; es kann sich auch um Gewohnheiten handeln, die jedes Mitglied erlernt und mehr oder weniger berücksichtigt. Die Ethik dagegen reflektiert auf die Moral bzw. die Sitten, also auf Handlungsregeln, und versucht, diese objektiv normativ nach Prinzipien (z.B. deontologisch, konsequentialistisch oder tugendethisch) zu begründen. In diesem Fall handelt es sich um normative Ethik. Die Metaethik hingegen ist deskriptiv und untersucht, wie Ethiken bestimmte Grundbegriffe wie „gut“ verwenden, d.h. welche Begriffs- und Begründungslogik ihnen zugrunde liegt.

Kant versteht seine Ethik in Anknüpfung an die antike Tradition als eine philosophische Wissenschaft, so wie auch die Physik und die Logik. Bei allen Wissenschaften handelt es sich um eine „Vernunfterkenntnis“ (IV:387). Im Gegensatz zur formalen Vernunfterkenntnis wie der Logik, die es nur mit Verhältnissen und „den allgemeinen Regeln des Denkens überhaupt ohne Unterschied der Objecte“ zu tun hat, handelt es sich bei der Physik und der Ethik um materiale Vernunfterkenntnis, „welche es mit bestimmten Gegenständen und den Gesetzen zu thun hat, denen sie unterworfen sind“. Während sich die Physik mit den Gegenständen befasst, die dem Naturgesetz, also dem deskriptiven Gesetz von Ursache und Wirkung, unterliegen, befasst sich die Ethik oder auch „Sittenlehre“ mit dem Gesetz der Freiheit, also den normativen und nicht deskriptiven Prinzipien (bzw. den Gründen) der Willensbestimmung. Die „sittliche Weltweisheit“ (IV:387), wie Kant auch die Ethik nennt, hat es mit den Gesetzen zu tun, „nach denen alles geschehen soll, aber doch auch mit Erwägung der Bedingungen, unter denen es öfters nicht geschieht“ (IV:388). Dies bedeutet, dass Kant immer auch das Scheitern moralischer und autonomer Selbstbestimmung thematisiert. Kant versucht, eine Ethik zu entwickeln, die eine „reine Philosophie“ ist, insofern sie „lediglich aus Principien a priori ihre Lehren vorträgt“, d.h. unabhängig von Erfahrung, aus reiner Vernunft, Moral begründet. Deswegen ist die Moral der rationale „Teil“ (besser: Gegenstand) der Ethik die Moral, ihr empirischer Gegenstand die „praktische Anthropologie“, also die Erfahrungslehre vom Menschen. Kant versucht, „den empirischen von dem rationalen Theil jederzeit sorgfältig abzusondern“ (IV:388), also „vor der praktischen Anthropologie […] eine Metaphysik der Sitten voranzuschicken, die von allem Empirischen sorgfältig gesäubert sein müßte[], um zu wissen, wie viel reine Vernunft[…] leisten“ kann (IV:388 f.). Eine Metaphysik der Sitten besteht also darin, unabhängig oder jenseits der Physik, verstanden als Bereich des Werdens und Vergehens, nur durch Prinzipien der Vernunft, eine Ethik zu begründen. Reine Vernunft, d.h. Rationalität, die nicht auf Erfahrungswissen zurückgreift, soll und kann nach Kant Moral objektiv begründen. Reine Vernunft verfährt dabei nicht nur formal-deskriptiv, wie es die Logik oder Metaethik tut, sondern material-normativ. Kant muss also zeigen, wie wir durch reines Denken gehaltvolle („synthetische“) moralische Prinzipien entwickeln können, die nicht aus der Erfahrung gewonnen sind.