Benthams Konsequentialismus

Der Konsequentialismus bewertet eine Handlung ganz allgemein nach ihren Folgen. Oft steht dabei der Nutzen einer Handlung im Zentrum. Hier stellen sich zwei Fragen – eine nach der Extension des Nutzens, die andere nach der Bewertung des Nutzens: Wessen Nutzen zählt bei unserer Handlung? Nur derjenige der Menschheit, oder auch derjenige nichtmenschlicher Tiere oder gar auch von Pflanzen oder der gesamten Natur? Es stellt sich ferner die Frage, aus welcher Perspektive die Handlung bewertet wird. Aus einer subjektiven Perspektive können wir nur mögliche Handlungsfolgen wollen und voraussehen, wissen aber nie genau, ob diese auch wirklich eintreten – sei es aufgrund von Willensschwäche, fehlerhafter Erkenntnis oder Zufällen. Wir sind also in bestimmten Hinsichten nicht völlig autonom. Aus einer objektiven Perspektive können wir unsere Handlungen erst retrospektiv bewerten, wenn sie erfolgt sind und sich konkret auswirken konnten. Demnach könnte sich Moral erst dann einstellen, wenn bereits gehandelt wurde. Daraus entsteht ein Paradox:

(Konsequentialismus-These): Die Moralität unserer Handlungen bemisst sich an ihren Folgen.

(Heteronomie-These): Die Handlungsfolgen liegen nicht gänzlich in unserer Hand.

(Paradox): Die Moralität unserer Handlungen bemisst sich also nicht (nur) an unserer Entscheidung. Wir sind also für etwas verantwortlich, für das wir nicht verantwortlich sind.

Immanuel Kant hat deswegen in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (GMS) gegen den Konsequentialismus argumentiert: „Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d.i. an sich, gut und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte. […] Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werthe weder etwas zusetzen, noch abnehmen.“ (GMS, 4:394)

Kant diskutiert den Fall, dass zwar eine moralische Absicht gefasst wurde, jedoch daraus keine nützlichen Handlungsfolgen entsprangen. Seiner Auffassung nach sind die Handlungsfolgen einer Absicht für ihre moralische Bewertung nur äußerlich: „Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute Wille (freilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Werth in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werthe weder etwas zusetzen, noch abnehmen. Sie würde gleichsam nur die Einfassung sein, um ihn im gemeinen Verkehr besser handhaben zu können, oder die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht gnug Kenner sind, auf sich zu ziehen, nicht aber um ihn Kennern zu empfehlen und seinen Werth zu bestimmen.“ (GMS, 4:394)

Allerdings folgt aus Kants These ebenfalls ein Paradox:

(Deontologie-These): Gut ist nur ein guter Wille, unabhängig von seinen Handlungsfolgen.

(Heteronomie-These): Wir haben die Folgen einer Handlung nicht in der Hand.

(Paradox): Also ist selbst eine Welt, in der nur gute Willen existieren, aber keine nützlichen Handlungen daraus resultieren, besser als eine Welt, in welcher weniger gute Willen existieren, jedoch zahlreiche nützliche Handlungsfolgen entstehen.

(Paradox*): Also ist selbst eine Welt, in der nur gute Willen existieren, aber keine nützlichen Handlungen daraus resultieren, die beste aller möglichen Welten.

Das Problem der Deontologie besteht in unserer starken Intuition, dass ein guter Wille einen kausalen Unterschied in der Welt bewirken muss, d.h. dass zum moralisch Guten immer auch eine Veränderung in der Welt gehören muss. Dies trifft der Spruch von Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.“

Der englische Philosoph Jeremy Bentham (1748-1832) hat in seiner „Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung“ von 1780 die Grundprinzipien des Konsequentialismus dargelegt. Nach Benthams Anthropologie werden wir nur durch Leid und Freude zum Handeln motiviert. Bentham nennt dies das „Nutzenprinzip“. Es bildet eine zentrale Prämisse und Grundlage seines ethischen Systems, das sich zum Ziel setzt, „das Gebäude der Glückseligkeit durch Vernunft und Recht zu errichten“ (33). Unter „Nutzen“ versteht Bentham eine Eigenschaft eines „Gegenstandes“ bzw. seine Tendenz „Nutzen, Vorteil, Freude, Gutes oder Glück hervorzubringen (all dies läuft im vorliegenden Fall auf das Gleiche hinaus) oder (was wiederum auf das Gleiche hinausläuft) zu verhindern, dass der Partei, deren Interesse erwogen wird, Schaden, Leid, Übel oder Unglück zustößt“ (34). Es handelt sich beim Nutzen also, mathematisch gesprochen, um einen Nutzen-Betrag. Die Verminderung von Leid zu einem Normalzustand, und die Erhöhung des Glücks vom Normalzustand hinauf, sind gleich zu bewerten.

Bentham spricht von einem „Gesetz oder Gebot des Nutzens“, welches für unsere Handlungen normative Geltung hat. Nun könnte man meinen, Bentham rede hier einer deontologischen Ethik das Wort, wie sie Immanuel Kant vertreten hatte. Allerdings besteht Kants Ethik in der Einsicht, dass das Gesetz des Handelns ein rein formales Gesetz ist, welches nur auf die vernünftige Verallgemeinerbarkeit der Form von Maximen und nicht ihrer Inhalte abzielt. Kants kategorischer Imperativ fordert nichts Konkretes, wie etwa die Vergrößerung von Nutzen, sondern nur, dass unsere Maximen nicht in sich widersprüchlich sein sollen.

Bentham unterscheidet vier Quellen bzw. „Sanktionen“, die Grund und Ursache von Freud und Leid sind:
(1) Physisches, wie z.B. Schmerz und Krankheiten;
(2) Politisches, wie etwa staatliche Bevormundung;
(3) Moralisches, wie etwa Beleidigung;

(4) Religiöses.

Bentham unterscheidet darüber hinaus vier Kriterien, um die Qualität bzw. Intensität von Freude und Leid zu messen:

(1) Intensität,
(2) Dauer,
(3) Gewissheit oder Ungewissheit,
(4) Nähe oder Ferne der Freude oder des Leids. (45)