Wille

Traditionell wird in der Geschichte der Philosophie mit Blick auf den Willen zwischen einem „unteren“ (arbitrium brutum) und einem „oberen“ Begehrungsvermögen (arbitrium liberum) gesprochen. Das lateinische Wort „arbitrium“ bedeutet so viel wie „Wahlvermögen“ oder „Entscheidungsvermögen“ (vgl. auch das Wort „abiträr“, „beliebig“, und lat./engl. „arbiter“, „Schiedsrichter“). Das untere Begehrungsvermögen betrifft unsere Neigungen, Strebungen und Triebe und wird auch nichtmenschlichen Tieren zugestanden. Das obere Begehrungsvermögen ist unser Wille, insofern er durch Beteiligung unserer Vernunft und Reflexion gebildet wurde, und er ist eng mit dem Begriff der Freiheit verwandt. Denn wir wollen, wenn wir handeln, nicht nur unseren unmittelbaren Trieben und Begehrungen folgen, also kein Spielball unserer Begehrungen sein, sondern unseren Willen selbst bestimmen. Nun stellt sich die Frage, wie wir unseren Willen bilden können. Der US-amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt (*1929) hat diesen Übergang vom unteren zum oberen Begehrungsvermögen in seinem 1971 erschienenen Aufsatz „Freedom of the Will and the Concept of a Person“ durch seinen Begriff „Wünsche zweiter Ordnung“ und „Volitionen zweiter Ordnung“ näher beschrieben. Seiner Auffassung nach liegt dasjenige, was uns als Personen ausmacht, nicht bereits in unserer Vernunft, sondern in unserem vernünftigen, reflektierten Willen. Frankfurt unterscheidet den Begriff des Willens von dem des bloßen Wunsches und der Neigung. Wir können uns vieles wünschen, doch wird es dadurch nicht zu unserem Willen. Der Wille ist nämlich ein handlungswirksamer Wunsch, also eine Verpflichtung auf eine konsequente Durchführung unseres Wollens in Form einer konkreten Handlung. Frankfurt spricht davon, dass wir, wenn wir etwas wollen, „den ganzen Weg bis zu einer Handlung […] gehen“, und nicht nur ein paar Schritte, wie bei einem Wunsch. Menschen als Personen können Wünsche zweiter Stufe ausbilden, was bedeutet, dass wir nicht nur einen bestimmten Wunsch haben, sondern von einer zweiten Stufe aus betrachtet einen bestimmten Wunsch haben wollen (bzw. einen bestimmten Wunsch nicht haben wollen). Volitionen zweiter Stufe bestehen dagegen darin, dass wir nicht nur einen bestimmten Wunsch haben wollen, sondern, dass wir wollen, dass ein bestimmter Wunsch unser Wille sei, d.h. handlungswirksam wird. Ein „Triebhafter“ (ein wanton) ist dagegen nach Harry Frankfurt ein Wesen, welches keine Volitionen zweiter Stufe ausbildet, dem also seine Wünsche im Grunde gleichgültig sind. Zur Veranschaulichung dieser Unterscheidung führt Frankfurt das Beispiel zweier Drogensüchtiger an, die genau denselben Suchtbedingungen unterliegen und ihrer Sucht nachgeben müssen. Einer der Drogensüchtigen versucht, wenn auch vergeblich, gegen seine Sucht anzukämpfen, auch wenn er ihr dann wieder erliegt. Es handelt sich dabei um einen „Süchtiger wider Willen“, denn neben dem Wunsch, Drogen zu nehmen, hat er den Wunsch erster Stufe, nicht Drogen zu nehmen. Indem er möchte, dass der zweite Wunsch – nicht Drogen zu nehmen – sein Wille sei, hat er Volitionen zweiter Stufe ausgebildet. Im Gegensatz zum anderen Drogensüchtigen, der nur seinem Verlangen nach Drogen unmittelbar nachgibt und daher ein wanton ist, handelt es sich bei dem widerwillig Drogensüchtigen deshalb um eine Person. Frankfurt vertritt die provokative These, dass alle nichtmenschlichen Tiere wantons seien, und auch alle kleinen Kinder. In Volitionen zweiter Stufe muss sich nach Frankfurt nicht eine moralische Einstellung zeigen. Wir können von ganz verschiedenen Positionen heraus unseren Willen von einer zweiten Stufe aus bestimmen und unsere Wünsche kritisch beurteilen. Hier stellt sich nun die kritische Frage, ob wir, um zu einer Entscheidung zu gelangen, nicht immer noch höhere Volitionen (dritter, vierter, fünfter, … Ordnung) ausbilden müssen, d.h. einem infiniten Regress unterliegen.