Habermas über sprachliche Aufklärung

Jürgen Habermas (*1929) hat in seinem 1981 erschienenen Hauptwerk Theorie des kommunikativen Handelns eine sprachpragmatische Theorie der Aufklärung entwickelt. Damit ist gemeint, dass sich Rationalität nur im sprachlich-gesellschaftlichen Austausch realisieren lässt. Habermas hat dafür den Begriff kommunikativer Rationalität geprägt: „Rationalität hat weniger mit dem Haben von Erkenntnis als damit zu tun, wie sprach- und handlungsfähige Subjekte Wissen erwerben und verwenden“ (25). Wir beschreiben durch unsere Sprache nicht nur Dinge in der Welt hinsichtlich ihrer Existenz und Bedeutung (deskriptiv und semantisch), sondern handeln auch sprachlich, indem wir z.B. behaupten, befehlen oder versprechen. Diese Phänomene betreffen nicht die Semantik sprachlicher Äußerungen, sondern ihre Pragmatik. John Langshaw Austin (1911-1960) hat in seiner Schrift How to do things with Words (1962) darauf hingewiesen, dass wir mit Äußerungen oft nicht nur etwas beschreiben, sondern eine Handlung vollziehen. Er nennt dies „performative Sätze“. John Searle (*1932) hat dies den „illokutionären Akt“ genannt. Aufklärung ist nach Habermas eine sprachliche Praxis vernünftiger Subjekte, die in ihrem kommunikativen Handeln ihre jeweiligen Wissensansprüche durch die „Triftigkeit der Gründe“ rechtfertigen und in ihrer Argumentation andere Sprachsubjekte „überzeugen“ und motivieren, jedoch nicht einfach überreden oder mit Gewalt zwingen wollen: „[D]ie Rationalität derer, die an dieser kommunikativen Praxis teilnehmen, bemißt sich daran, ob sie ihre Äußerungen unter geeigneten Umständen begründen könnten“ (38). Zu einem aufgeklärten Diskurs gehört jedoch auch „die Bereitschaft, sich der Kritik auszusetzen und erforderlichenfalls an Argumentationen regelrecht teilzunehmen.“ (38) Habermas diskutiert aber nicht nur Formen rational gelingender Kommunikation, sondern auch sprachpragmatische Formen des Irrtums und Scheiterns. Wir sind dann aufgeklärt, wenn wir uns von anderen rationalen Akteuren korrigieren lassen und eine selbstreflexive Haltung gegenüber unseren Sprechakten einnehmen: „Wer sich systematisch über sich selbst täuscht, verhält sich irrational, wer aber imstande ist, sich über seine Irrationalität aufklären zu lassen, der verfügt nicht nur über die Rationalität eines urteilsfähigen und zweckrational handelnden, eines moralisch einsichtigen und praktisch zuverlässigen, eines sensibel wertenden und ästhetisch aufgeschlossenen Subjekts, sondern über die Kraft, sich seiner Subjektivität gegenüber reflexiv zu verhalten und die irrationalen Beschränkungen zu durchschauen, denen seine kognitiven, seine moralisch- und ästhetisch-praktischen Äußerungen systematisch unterliegen.“ (42 f.) Aufklärung besteht also nach Habermas sprachpragmatisch in einer spezifischen „Form der Argumentation“, die er in Anlehnung an Sigmund Freud „therapeutische Kritik“ (43) nennt.