Das Thema „Digitalität“ ist auf den ersten Blick nicht eindeutig definiert. Fest steht jedenfalls, dass das Phänomen der Digitalität von dem Phänomen der Digitalisierung unterschieden werden muss. Was ist der Unterschied zwischen „Digitalität“ und „Digitalisierung“, und warum sollte sich die Philosophie damit beschäftigen? Während die Digitalisierung sich mit dem Phänomen der Umwandlung analoger in digitale Information befasst, reflektiert die Digitalität von einer Metaebene auf diese Transformation. Sie fragt nach den kulturellen, ästhetischen, ontologischen und ethischen Aspekten dieser Transformationen.
Bevor man sich mit dem Phänomen der Digitalität beschäftigt, ist es jedoch sinnvoll, eine andere Differenz zu betrachten, nämlich diejenige zwischen analog und digital. Grundsätzlich kann man sagen, dass alle analogen Phänomene kontinuierlich sind, keine Brüche oder nicht differenzierbare Punkte auf einer Kurve enthalten. Wir können etwa natürliche Phänomene als analog auffassen, indem wir diese immer weiter analysieren können und anscheinend nie an ein Ende gelangen (dies gilt sowohl für den Mikro- als auch für den Makrokosmos). Analoge Informationen sind durch ein Kontinuum charakterisiert. Digitale Informationen hingegen sind nicht kontinuierlich, sondern „gequantelt“ und diskret: Sie liegen in Einheiten vor, lassen sich letztlich in Kombinationen von Einsen und Nullen analysieren. Die folgende Grafik beschreibt dieses Verhältnis (Quelle: Wikipedia):
Nehmen wir als Beispiel ein Musikstück, welches von einem Orchester gespielt wird. Es ist akustisch unendlich differenziert, weist eine Vielzahl an Obertönen und sonstiger Klangqualitäten und -parameter auf. Wenn wir das Klangereignis digitalisieren, verlieren wir notwendigerweise einige dieser Informationen. Wir reduzieren es auf kleinere Bestandteile, bauen es sozusagen künstlich daraus wieder zusammen. Diese „Künstlichkeit“ der Digitalisierung kann ontologisch als Modus der Virtualität weiter bestimmt werden. Es handelt sich dabei aber immer nur um eine Annäherung an die originale akustische Realität. Doch liegt der Vorteil der Digitalisierung auf der Hand: Wir können unendliche Kopien genau derselben Informationen verbreiten. Wir können Daten so unabhängig von Raum und Zeit konservieren. Digitalisierung bedeutet damit eine Form negativer Freiheit: Wir werden unabhängig von raumzeitlichen Gebundenheiten eines Phänomens und können es beliebig varriieren und reproduzieren.
Digitalität nun meint jene neuartigen Phänomene, die mit den Möglichkeiten der Digitalisierung einhergehen. Diese betreffen etwa die Frage nach der numerischen Identität von Objekten und ihrer seinsmäßigen Verfasstheit (Ontologie). Sie betreffen aber auch unser Verhältnis zu digitalen Objekten, und deren raumzeitliche Struktur. Es scheint nämlich, dass der Faktor Raum im Bereich des Digitalen keine Rolle mehr spielt. Digitale Daten sind im Grund ortslos, von überall abrufbar, omnipräsent.
Nun können wir uns fragen, ob das Phänomen der Digitalität nicht im Grunde der „zweiten Natur“ zuzurechnen ist. „Zweite Natur“ meint im Gegensatz zur „ersten Natur“ die vom Menschen geschaffene Kultur. Wir nehmen nicht einfach Nahrung auf, wie es einfache Tiere tun, sondern wir zelebrieren den Akt der Nahrungsaufnahme. Wir verarbeiten die Nahrung und züchten Pflanzen nach unserem Geschmack. Was spricht nun dafür, die Digitalität nicht der zweiten, sondern einer „dritten Natur“ zuzuordnen? Entscheidend dafür ist, dass wir Phänomene der Digitalität identifizieren können, die selbst eine eigene kausale Kraft entfalten und nicht einfach auf andere Bereiche – sei es die Natur oder Kultur – reduziert werden können. Entscheidend scheint dabei die gegenüber der zweiten Natur veränderte Raum- und Identitätslogik zu sein. Hinzu kommt, dass digitale Dinge immer mehr miteinander vernetzt werden und in Beziehung zueinander treten. Man spricht hier vom „Internet of Things“. Man könnte dieses Phänomen auch „Interobjektivität“ im Unterschied zur „Intersubjektivität“ der zweiten Natur bezeichnen. Ein weiterer Zug der Digitalität besteht in ihrer Einheitsstiftung. Indem alles mit allem überall prinzipiell vernetzt ist, wird das Prinzip der Kommunikation auf die Spitze getrieben. Dies mag dazu führen, dass die Standards und Sprachen der Kommunikation immer mehr vereinheitlicht werden. Dadurch scheinen kulturelle Differenzen – in Analogie zum Phänomen des Analogen – immer mehr ausgeblendet zu werden.