Zusammenfassung 3. Sitzung, 15.5.2019 – Todsünden, Aristoteles

Die Anordnung der Sieben Todsünden besitzt bei näherer Betrachtung eine gewisse innere Logik. Fest steht, dass es sich dabei weniger um Handlungen als vielmehr um Haltungen (Dispositionen), (intentionale) Einstellungen und Gefühle handelt, die überwiegend den Bereich der Moralpsychologie betreffen. Darin unterscheiden sie sich von Formen des Unmoralischen, die durch Handlungen bzw. Handlungsstrukturen ausgezeichnet sind und wie sie in den Zehn Geboten formuliert sind („Mord“, „Ehebruch“, „Lüge“,…). Hochmut, Habgier und Neid stellen eher innere, geistige Haltungen dar, die nur gering emotional und körperlich bedingt sind. Sie lassen sich phänomenologisch als ‚kalt‘ beschreiben. Wollust, Völlerei und Trägheit hingegen sind überwiegend körperlicher Natur und besitzen eine größere emotionale ‚Wärme‘. Der Zorn scheint sowohl eine Emotion wie auch eine geistige Haltung zu sein. Hier zeigt sich, dass das Thema „Formen des Unmoralischen“ sowohl in die Philosophie des Geistes, in die Emotionstheorie, in die Handlungstheorie und in die Moralpsychologie fällt.

Bereits bei Aristoteles findet sich eine zentrale Unterscheidungen der Laster. Diese können entweder Affekte oder Handlungen betreffen. Die Tugend besteht darin, dass man die Mitte aus Extremformen von Affekten oder Handlungen bestimmt, und zwar nicht einfach arithmetisch, sondern im Sinne eines Auslotens und Abwägens. Die Mitte muss durch „Überlegung“ (lógos) erst „gewählt“ werden. Dies kann bedeuten, dass man erst ein paar vergebliche Versuche unternehmen musste, und aus der Erfahrung schließlich die Tugend lernt. Dies zeigt sich am Beispiel der Tugend der Tapferkeit (andreía), die die Mitte zwischen übersteigerter Furcht (Feigheit) und Mut (Tollkühnheit) darstellt. Hier stellt sich die Frage, inwiefern in der Tugend positive Momente der Extreme bewahrt und „aufgehoben“ sind. Ist die Tugend eine bloße Mischung aus den zwei Extrempositionen, oder aber etwas genuin Neues, das ihre positiven Seiten transformiert?

Aristoteles betont, dass nicht jeder Affekt und jede Handlung eine Mittelung zum Zwecke der Tugend erlaubt, da er ein Übermaß oder Mangelzustand ist. Es gibt nämlich Affekte und Handlungen, die intrinsisch schlecht sind. Als Beispiele führt Aristoteles Affekte wie „Schadenfreude, Schamlosigkeit, Neid“ und Handlungen wie „Ehebruch, Diebstahl, Mord“ an. Interessant ist hier, dass einige der Laster unter die Sieben Todsünden und die zehn Verbote fallen. Neid etwa lässt sich nach Aristoteles nicht als Übermaß oder Mangel eines anderen Phänomens verstehen. Zu hinterfragen wäre hier, ob nicht im Neid bereits die positive Dimension der Anerkennung enthalten ist, die mit einer fatalen Trägheit gepaart ist.