Zusammenfassung 3. Sitzung, 20.11.2019: Speziesismus, Utilitarismus und Tierrechte

Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) vertritt im Rahmen seiner deontologischen Ethik die Auffassung, dass wir Tiere nicht grausam behandeln dürfen, „weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird“ (Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 443) Es geht Kant also nicht direkt um das Wohl der Tiere, sondern nur indirekt, insofern sie als ein Mittel zur Einübung des menschlichen Mitgefühls dienen oder im andern Fall zu dessen Abhärtung beitragen. Ebenso gehört nach Kant eine gewisse Form von Dankbarkeit gegenüber sich verdient gemacht habenden Tieren indirekt zur Pflicht des Menschen, da dadurch seine moralischen Gefühle kultiviert werden. Eine direkte Pflicht zur Dankbarkeit kann aber nur zwischen Menschen existieren. Direkte Pflichten bestehen nach Kant nur zwischen vernünftigen Wesen, die ihren Willen nach den Forderungen des Sittengesetzes (der reinen praktischen Vernunft) bestimmen können. Solche autonomen Wesen besitzen dadurch eine absolute Würde, denn sie sind freie Subjekte und keine bloßen Objekte. Kant bringt diese Einsicht in seiner sogenannten „Selbstzweckformel“ des Kategorischen Imperativs folgendermaßen auf den Punkt: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 429).

Eine von Kants Position verschiedene Haltung zur Frage nach dem moralischen Umgang mit Tieren nimmt der australische Philosoph Peter Singer (*1946) ein. Er vertritt eine Art utilitaristischer Interessensethik, die besagt, dass keine Interessen von empfindungsfähigen Wesen aufgrund von Art- oder Rassezugehörigkeit privilegiert werden dürfen. Das Prinzip der gleichen Interessensberücksichtigung ist nicht nur „eine adäquate Basis für menschliche Gleichheit“, sondern muss, konsequent angewendet, auch für nichtmenschliche Lebewesen außerhalb der Art homo sapiens gelten. Die Annahme, dass nur die Interessen der Mitglieder unserer Art bevorzugt berücksichtigt werden müssen, weil sie dieser Art angehören, nennt Peter Singer in Analogie zum Rassismus „Speziesismus“. Singer macht als „Grundbedingung“ für diese gleiche Interessensberücksichtigung die „Fähigkeit zu leiden und sich zu freuen“ aus. Ohne diese Leidensfähigkeit können wir ihm zufolge gar keine Interessen ausbilden. Offen bleibt hier freilich die Frage, ob die Leidensfähigkeit bei unterschiedlichen Lebensformen gleichartig ausgeprägt ist. Es scheint so zu sein, dass Menschen aufgrund ihres Zeit- und Möglichkeitsbewusstseins zu komplexerem psychischen Leiden in der Lage sind als nichtmenschliche Lebensformen. Insofern wären Menschen bereits auf der Grundlage der Leidensfähigkeit anderen Tieren überlegen, und nicht erst durch ihre Intelligenz.

Der amerikanische Philosoph Tom Regan (1938-2017) argumentiert gegen utilitaristische Ansätze in der Tierethik, wie sie Peter Singer vertritt. Diese basieren ihm zufolge alle auf einer moralisch problematischen Kosten-Nutzen-Kalkulation von Interessen, bei der im Extremfall gar ein Menschenleben für eine gute Bilanz geopfert werden könnte. Dagegen argumentiert Regan, dass alle empfindungsfähigen Lebewesen einen inhärenten Wert besitzen, der nicht utilitaristisch verhandelbar, also unabhängig von Nützlichkeit ist. Regan nennt diese Theorie eine „Rechte-Theorie“. Sie erhebt ein kategorisches Veto, wenn es darum geht, leidensfähige Lebewesen als Mittel zum utilitaristischen Zweck zu verwenden, und ähnelt dabei Kants Selbstzweckformen des Kategorischen Imperativs, mit der Ausnahme allerdings, dass hier nicht nur Menschen, sondern eben alle leidensfähigen Lebewesen mit einbezogen werden. Gegen das Argument, dass Menschen als Menschen über höhere Fähigkeiten als nichtmenschliche Tiere verfügten und daher einen höheren moralischen Status besäßen, macht er geltend, dass es auch Menschen gibt, die durch Behinderung solche höheren kognitiven Fähigkeiten nicht (mehr) besitzen. Indem Regan die Rechte auf alle leidensfähigen Wesen, also Wesen, die über phänomenales Bewusstsein verfügen, ausdehnt, kann er auch solche Fälle menschlicher Existenz, die man „aporetische Personen“ nennen könnte, mit einschließen. Es hat jedoch den Anschein, dass Regan nur deswegen auch nichtmenschliche Tiere mit einbezieht, um auch aporetischen Personen solche moralischen Rechte zugestehen zu können. So betrachtet stände Regan der Position Kants nahe, der nichtmenschlichen Tieren in seiner Logik der Moral nur eine indirekte moralische Signifikanz beimisst.