Zusammenfassung, 6. Sitzung, 18.5.2018: Bayle und Hume

Der französische Aufklärer Pierre Bayle (1647-1706) befasst sich in seinem Historischen und kritischen Wörterbuch mit der Intelligenz der Tiere. Gegenüber der cartesischen Auffassung, dass Tiere hinsichtlich ihres Verhaltens mit bloßen Maschinen gleichgesetzt werden könnten, argumentiert er, dass das Phänomen der Konditionierung ein Hinweis darauf sei, dass Tiere über Intelligenz verfügen und ihr Verhalten nicht rein mechanistisch erklärt werden könne. Vielmehr zeige sich darin ein logischer (Induktions-)Schluss, der von einem oder mehreren Ereignissen in der Vergangenheit auf ein Ereignis in der Zukunft schließe. Ein Hund wird etwa dafür gestraft, dass er unerlaubt Wurst gefressen hat und wird deswegen irgendwann keine Wurst mehr fressen, ohne Bestrafung zu fürchten. Diesem Phänomen liegt folgender Schluss zugrunde:

Wurstfressen -> Strafe

oder formalisiert:

A -> B

Sicherlich ist das eigentliche Phänomen der Konditionierung, also das unwillkürliche Eintreten einer Erwartungshaltung (der notwendige Übergang von A zu B) nur schwer durch Überlegungen verursacht, sondern eine Gewöhnung zu sein. Es scheint sich darin um einen starren Mechanismus zu handeln in Art eines Schaltkreises. Entscheidend ist aber die Beurteilung, ob es sich in einem konkreten Fall um A oder nicht doch um C handelt. Erst wenn das Tier durch Wahrnehmung und basale Reflexion bestimmt, dass A der Fall ist, tritt die Konditionierung A -> B ein. Hier, in diesem Bereich vor der Konditionierung, also der Fallbestimmung („Ist A der Fall, so dass B eintreten wird?“), könnte also tierische Intelligenz zu finden sein.

Bayle argumentiert außerdem dafür, dass jedes Tier, welches zu Empfindungen bzw. phänomenalem Bewusstsein (d.h. Qualia) fähig sei, gleichzeitig über das Bewusstsein darüber verfüge, also phänomenales Selbstbewusstsein habe: „Jedem Urteilsfähigen ist klar, daß jede Substanz, die irgendwelche Empfindungen hat, auch weiß, daß sie empfindet; und es wäre nicht absurder zu behaupten, daß die Seele des Menschen gegenwärtig einen Gegenstand erkennt, ohne zu erkennen, daß sie ihn erkennt, als zu sagen, daß die Seele eines Hundes einen Vogel sieht, ohne zu sehen, daß sie ihn sieht. Das zeigt, daß alle Akte des Empfindungsvermögens ihrer Natur und ihrem Wesen nach selbstreflexiv sind.“ (295)

Im Unterschied zur aristotelischen Seelenlehre, welche von einer Seelenstufung ausgegangen war, wonach die unterste Stufe die Nährseele, die mittlere die wahrnehmende und bewegende Seele und die höchste die intellektuelle Seele sei, argumentiert Bayle, dass bereits die Tierseele der Potenz nach zu intellektuellen Fähigkeiten in der Lage sei und daran nur durch den tierischen Organismus gehindert werde. Es ist demnach nicht so, dass die Seelenstufen strikt voneinander geschieden wären, sondern auf jeder Stufe finden sich bereits Formen von Rationalität, zumindest aber auf der Ebene der Wahrnehmung. Auch verkehrt Bayle das aristotelische Verhältnis von Akt und Potenz bezüglich der Seele: Während diese nach Aristoteles die Form oder Wirklichkeit darstellt, ist sie nun für Bayle die Möglichkeit oder Potenz, die durch den Organismus geformt wird, ebenso wie ein Stück Wachs in verschiedene Formen gebracht werden kann: „Bringt […] diese Tierseele in die Form allgemeiner Ideen und in die Form künstlerischer und wissenschaftlicher Begriffe; ich will sagen: vereint sie mit einem sorgfältig ausgesuchten menschlichen Körper, so wird sie die Seele eines tüchtigen Menschen sein und nicht länger die eines Tieres.“ (298) Unklar bleibt hier, was genau unter „Körper“ zu verstehen ist. Es liegt nahe, damit spezifische Organe wie das Gehirn zu fassen: „Die Seele eines Hundes in den Organen von Aristoteles oder Cicero hätte nicht verfehlt, all die Einsichten dieser zwei großen Männer zu erwerben.“ (298) Bayle führt als Beleg das Beispiel der kindlichen Entwicklung an. Hierbei müsse man die Konstanz der Seele annehmen, und könne die Veränderungen der Intelligenz nicht durch ihren Wechsel, sondern alleine durch die organische Entwicklung erklären.

Der schottische empiristische Philosoph David Hume (1711-1776) argumentiert ebenfalls dafür, dass Tiere über Rationalität verfügten. Die Vernunft ist nach Hume kein höheres und distinktes Erkenntnisvermögen, sondern ganz allgemein nur eine „Sklavin der Affekte“, also unseren natürlichen Bedürfnissen untergeben. Wie Bayle, so argumentiert auch Hume dafür, dass Tiere über ein logisches Schlussvermögen verfügten und von einer endlichen Zahl vergangener Ereignisse bei regelmäßiger Verbindung auf künftige Ereignisse schließen. Die Vernunft sei nichts anderes als „ein wunderbarer und unfaßbarer Instinkt unserer Seele, der uns in einer Vorstellungsreihe von Vorstellung zu Vorstellung weiter leitet und diese Vorstellungen / mit bestimmten Eigenschaften ausstattet, entsprechend der jedesmaligen Stellung und Beziehung derselben zueinander. Freilich entsteht dieser Instinkt aus früherer Beobachtung und Erfahrung.“ (225 f.)