Zusammenfassung 9. Sitzung, 11.12.2018: Kants Zeittheorie (2)

Kant nimmt bezüglich seiner Auffassung der Zeit eine Zwischenposition zwischen Newton und Leibniz ein: Weder ist Zeit etwas rein Empirisches, noch ist sie Effekt einer Ordnung und logischen Verbindung von Dingen in der Welt. In seiner Transzendentalphilosophie, die die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung untersucht, verbindet Kant Momente des Empirismus und Rationalismus. Zeit ist immer ein Gegenstand unserer Sinnlichkeit, es ist etwas an unserer Sinneserfahrung. Ohne die Zeit können wir nach Kant keine Erfahrung haben. Doch folgt daraus nicht, dass die Zeit etwas ist, von dem wir nur durch die Sinneserfahrung (d.h. a posteriori) wissen können. Denn Zeit ist nach Kant eine reine Anschauungsform, also etwas, das zwar unserer Sinnlichkeit zugerechnet wird, dennoch aber vor aller Sinneserfahrung liegt (a priori), insofern es diese erst möglich macht. Kant behandelt die Zeit im Rahmen seiner Theorie der transzendentalen Ästhetik, die die Fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit von Sinneserfahrung behandelt. Er argumentiert zum Aufweis dieser besonderen Struktur unserer Wahrnehmung folgendermaßen: Wir können uns von der Vorstellung eines Gegenstandes, wie etwa eines schwarzen Stuhls, bestimmte Qualitäten bzw. konstituierenden Momente systematisch wegdenken. Wir können etwa von seiner Verstandes-Struktur wie der „Substantialität“ abstrahieren. Wir können auch Sinnesqualitäten wie Farbe, Härte und Geruch hinwegdenken. Kant argumentiert nun, dass selbst wenn wir seine Struktur der Substanz weggedacht haben, immer noch etwas übrig bleibt, nämlich die reine „Ausdehnung“ und „Gestalt“: „Diese gehören zur reinen Anschauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemüthe stattfindet.“ (KrV, B 35) Es ist also nicht so, dass die Kategorie der Substanz nach Kant bereits räumliche Ausdehnung impliziert. Vielmehr stellt sie nur ein logisches Moment einer umfassenderen Struktur dar, die es erlaubt, einem Ding gewisse Eigenschaften zuzuschreiben. Sprachlich wird dies durch die syntaktische Struktur des Subjekts verdeutlicht, dem ein Prädikat zugesprochen werden kann: „Der Stuhl (Subjekt bzw. Substanz) ist schwarz (Prädikat bzw. Akzidens). Raum und Zeit stellen also eine Art Zwischending zwischen Sinnesdatum und Verstandesbegriff dar:

Während der Raum eine Form des äußeren Sinnes ist, ist die Zeit Anschauungsform des inneren Sinnes. Während zeitliche Teile immer aufeinander folgen, also nicht zugleich sind, koexistieren räumliche Teile und folgen nicht aufeinander. Die Grundsätze von Raum und Zeit „gelten als Regeln, unter denen überhaupt Erfahrungen möglich sind, und belehren uns vor derselben (d.h. a priori) und nicht durch dieselbe (d.h. a posteriori).“ (KrV, B 36)