Zusammenfassung: Hans Jonas‘ Verantwortungsethik

Der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas (1903-1993) verfasste 1979 sein Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung – Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Gleich zu Beginn seines Buches bezieht sich Jonas auf die griechisch-mythologische Figur des Prometheus, einem Titanen, der von den Göttern das Feuer stiehlt, um es wieder den Menschen zu bringen. Zur Strafe wird er von Zeus gefesselt und regelmäßig von einem Adler gequält, der seine nachwachsende Leber frisst. Das Feuer besitzt hier eine symbolische Bedeutung der Technologie, und Prometheus als Kulturbringer. Jonas spricht mit Blick auf die Technologie des 20. Jahrhunderts von einem „Abenteuer“ (8) und einem „entfesselte[n] Prometheus“, „dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt“ (7). Daraus erwächst die Notwendigkeit einer „Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden“ (7). Prometheus wird also mit einem Male nicht Unterstützer der Menschen, sondern als Gefahr für sie problematisch. Die „Ausgangsthese“ von Jonas‘ Buch lautet, „[d]aß die Verheißung der modernen Technik in Drohung umgeschlagen ist“ (7). Dieser „Umschlag“ besteht darin, dass sich nun die „Unterwerfung der Natur“, die oft biblisch als Herrschaftsauftrag interpretiert wurde, „auch auf die Natur des Menschen selbst erstreckt“. Der Mensch wird durch seine technologische Naturbeherrschung eine Gefahr für die Menschheit als solche und ihren Fortbestand, so dass Jonas eine neue Form von Ethik fordert, da die „Hochtechnologie“ ein „Neuland“ für die bisherige Ethik darstellt (7). Jonas begründet diese neue Ethik durch die „vorausgedachte Gefahr“ der menschlichen Selbstzerstörung, und leitet daraus „die neuen Pflichten neuer Macht“ ab, die nun für den Menschen gelten sollen. Jonas spricht von einer „Heuristik der Furcht“ und einer „Ehrfurcht“ gegenüber der Fortexistenz menschlichen Lebens. Damit meint Jonas nicht nur deren „physisches Überleben“, ihre biologische Natur, sondern auch das „Menschenbild“ und die „Unversehrtheit des Wesens“ des Menschen (8). Jonas scheint damit die Doppelbedeutung von „Menschlichkeit“ zu meinen, die immer auch eine normative Bedeutung enthält im Sinne der Freiheit und Verantwortung. Jonas begründet seine Verantwortungsethik durch die Einbeziehung der Zukunft künftiger Generationen. Die Verantwortungsethik, die Jonas begründen möchte, basiert auf einer Metaphysik, also der Frage nach den Prinzipien unserer Existenz, da sie die Frage beantworten muss, „warum überhaupt Menschen in der Welt sein sollen: warum also der unbedingte Imperativ gilt, ihre Existenz für die Zukunft zu sichern“ (8). Jonas knüpft hier an Kants kategorischen Imperativ an, bezieht jedoch eine zeitliche Dimension mit ein. Zugleich versteht Jonas seine Ethik als eine Ontologie, insofern er „die alten Fragen nach dem Verhältnis von Sein und Sollen, Ursache und Zweck, Natur und Wert neu aufgerollt, um die neu erschienene Pflicht des Menschen jenseits des Wertsubjektivismus im Sein zu verankern“ (8). Hier stellt sich also die Frage, inwiefern wir überhaupt eine Verantwortungsethik begründen können, und auf Basis von welchen philosophischen Prämissen eine solche erst möglich ist. Nach Jonas hatte die Menschheit noch nie eine solche Verantwortung wie seit der Entwicklung der Hochtechnologie: „Statt des müßigen Erratens später Folgen im unbekannten Schicksal konzentrierte sich die Ethik auf die sittliche Qualität des augenblicklichen Aktes selber, in dem das Recht des mitlebenden Nächsten zu achten ist. Im Zeichen der Technologie aber hat es die Ethik mit Handlungen zu tun (wiewohl nicht / mehr des Einzelsubjekts), die eine beispiellose kausale Reichweite in die Zukunft haben, begleitet von einem Vorwissen, das ebenfalls, wie immer unvollständig, über alles ehemalige weit hinausgeht. Dazu die schiere Größenordnung der Fernwirkungen und oft auch ihre Unumkehrbarkeit. All dies rückt Verantwortung ins Zentrum der Ethik, und zwar mit Zeit- und Raumhorizonten, die denen der Taten entsprechen.“ (8 f.) Jonas versteht seine Schrift in Anlehnung an Spinoza („Tractatus logico-politicus“) und Wittgenstein („Tractatus logico-philosophicus“) als „Tractatus technologico-ethicus“, der systematischer Natur ist: „Das Ganze ist ein Argument, das durch die sechs Kapitel schrittweise […] entwickelt wird“ (10). Aber inwiefern ist Jonas‘ Argumentation überzeugend? Entscheidend wird dabei die Frage sein, ob es ihm gelingt, eine Normativität der (menschlichen) Natur zu begründen, die diese als (absolut) schützenswert ausweisen lässt. Hierbei stellt sich insbesondere das von David Hume namhaft gemachte „Sein-Sollen-Problem“, also die Frage, wie wir aus deskriptiven Zuständen der (menschlichen) Natur ein normatives Sollen ableiten können.