Zusammenfassung Kausalitäts-Seminar, 7.11.2018:

Viele Probleme bezüglich der Zeit resultieren aus der Art und Weise, wie wir über sie reden. Denn wir neigen dazu, metaphorisch über die Zeit zu sprechen, wie etwa dann, wenn wir sagen, die Zeit „fließe“, „verrinne“, „laufe“ oder „flüchte“. Im ersten und zweiten Fall fassen wir die Zeit als eine Substanz auf, im dritten und vierten Fall gar als ein Subjekt. Ist es aber wirklich so, dass die Zeit gegenständlich vorliegt, oder stellt sie nicht eher den ‚Rahmen‘ dar, innerhalb dessen Gegenstände und Veränderung existieren können? Natürlich ist auch die Rede von einem ‚Rahmen‘ selbst wieder metaphorisch.

Für die Behandlung aller Theorien der Zeit ist eine Unterscheidung zentral, die der englische Philosoph John McTaggart eingeführt hat. Es handelt sich um den Unterschied zwischen einer A-Reihe und einer B-Reihe der Zeit. Gemäß der A-Reihe wird Zeit zu jedem Zeitpunkt unter dem Gesichtspunkte der Zukunft, der Gegenwart und der Vergangenheit erfahren. Welcher Punkt auf dem Zeitstrahl als zukünftig, gegenwärtig und vergangen erfahren wird, hängt von dem „Ort“ des Subjekts im Zeitstrahl ab. „Gegenwart“, „Zukunft“ und „Vergangenheit“ sind demnach indexikalische Ausdrücke. Ihre Wahrheitswerte hängen von dem Zeitpunkt ab, zu dem das Subjekt sie äußert, ebenso wie in räumlicher Hinsicht „dort“ und „fünf Meter weiter links“ vom Ort des Subjekts der Äußerung abhängen. Die B-Reihe betrachtet hingegen nur die Zeit unter dem Gesichtspunkt „früher – später“. Die Aussage, dass ein Ereignis a früher als ein Ereignis b war, lässt sich unabhängig von einem Subjekt der Zeiterfahrung objektiv feststellen. Der Wahrheitswert dieser Aussage ist subjektunabhängig. Dafür spielen die Dimensionen von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft keine Rolle. Die Physik betrachtet die Zeit naturgemäß nur unter dem Gesichtspunkt der B-Reihe. Für die B-Reihe zählen nur die Zeitpunkte auf dem Zeitstrahl, die sich zu anderen im Sinne des „früher“ oder „später“ verhalten. Noch genauer kann man sagen, dass die Physik Zeiträume oder Zeitdifferenzen interessiert, unabhängig davon, wann genau diese Zeiträume (objektiv) existieren (daneben interessiert die moderne Physik seit Einstein natürlich auch die Abhängigkeit der Zeit von der Geschwindigkeit bzw. Veränderung).

Wie Augustinus nach ihm, so problematisiert auch Aristoteles den ontologischen Status der Zeit. Nimmt man an, dass die Zeit diskret ist, also aus Teilen besteht, so muss jedes Teilstück wieder als – wenn auch minimal – ausgedehnt aufgefasst werden. Wird es das, dann zerfällt es in minimale Anteile des Zukünftigen und des Vergangenen, die wiederum noch nicht bzw. nicht mehr existieren. Übrig bleibt damit das reine Nichts. Wenn die Zeit aus lauter Teilen besteht, dann müsste sie demnach aus lauter „Nichtsen“ bestehen und damit insgesamt auch nicht. Die Zeit ist nach Aristoteles „in besonderem Maße eine Art Bewegung“. Während sich Veränderung an Gegenständen schneller oder langsamer vollziehen kann, bleibt die Zeit konstant. Denn nur durch ihre Konstanz – als eine Art stabiler Hintergrund – kann ja die Geschwindigkeit von Veränderung bestimmt werden. Während Bewegung durch die Zeit bestimmt ist, ist die Zeit nicht durch Zeit bestimmt. Doch ist Zeit dennoch auf eine bestimmte Weise durch Veränderung bestimmt, da wir diese ansonsten nicht in ihrem Fluss wahrnehmen könnten: „Daß somit Zeit nicht gleich Bewegung, andrerseits aber auch nicht ohne Bewegung ist, leuchtet ein.“ (219b) Zeit ist nach Aristoteles nicht Bewegung, sondern „etwas an dem Bewegungsverlauf“ (219a; Hervorh. J.N.). Zeit kann also nur durch die gleichmäßige Einteilung von Bewegungsabläufen definiert werden: „[A]uch die Zeit erfassen wir, indem wir Bewegungsabläufe abgrenzen, und dies tun wir mittels des ‚davor‘ und ‚danach‘.“ (219a) Zeit ist „[d]ie Meßzahl von Bewegung hinsichtlich des ‚davor‘ und ‚danach‘.“ (219ab) Aristoteles scheint dabei an bestimmte, periodisch wiederkehrende, nach gleichen Verhältnissen geordnete und indexierte Bewegungsabläufe zu denken, wie das Auf- und Untergehen der Sonne oder der Jahreskreis der Erde um die Sonne: „Nicht gleich Bewegung (kínêsis) ist die Zeit, sondern insoweit die Bewegung Zahl an sich hat (gehört sie zu ihr). Ein Beleg dafür: Das ‚mehr‘ und ‚weniger‘ entscheiden wir mittels der Zahl, mehr oder weniger Bewegung mittels der Zeit; eine Art Zahl ist also die Zeit.“ (219b) Zeit und Bewegung hängen durch ihre Zählbarkeit miteinander zusammen: „Wir messen nicht bloß Bewegung mittels Zeit, sondern auch (umgekehrt) Zeit mittels Bewegung“ (220b). Aristoteles scheint dabei jedoch vorauszusetzen, dass es periodisch wiederkehrende Bewegungen gibt, die bezüglich ihrer Zeitausdehnung exakt identisch sind. Nur dann können Bewegungen als Zahl der Zeit dienen. Eine solche Auffassung scheint dem antiken Kosmos-Denken zu folgen: Die Welt und das Universum sind wohlgeordnet und folgen eindeutigen Gesetzen. Deswegen ist die Welt sogar „schön“ zu nennen, wie auch „Kosmos“ so viel wie „Schmuck“ bedeuten kann. Die moderne Wissenschaft misst die Zeit über den Weg der Lichtgeschwindigkeit. Ihrzufolge ist die Bewegung nicht von der Zeit abhängig, sondern die Zeit von der Geschwindigkeit. Nach Albert Einsteins spezieller Relativitätstheorie ist die Zeit abhängig von der Geschwindigkeit. Je schneller man sich bewegt, desto langsamer verläuft die Zeit.

 

 

Isaac Newton unterscheidet im Rahmen seiner Schrift über die „Mathematischen Prinzipien der Naturlehre“ zwischen einer absoluten (bzw. mathematischen und wahren) und einer relativen (bzw. gewöhnlichen und falschen) Zeit. Ziel seiner Schrift ist es, die gesamte Natur und ihre physikalischen Prinzipien mathematisch zu beschreiben und zu quantifizieren. Hier stellt sich freilich die Frage, ob die Zeit selbst ein Gegenstand der mathematischen Physik ist, oder ob mathematisch beschreibbare Gegenstände nur innerhalb der Zeit vorkommen. Newton nennt die wahre, mathematische Zeit deswegen „absolut“, weil sie „vermöge ihrer Natur gleichförmig, und ohne Beziehung auf irgend einen äußern Gegenstand“ verfließt. Unter der relativen, scheinbaren und gewöhnlichen Zeit versteht Newton dagegen nur ein bestimmtes Maß der Dauer, wie etwa Tage, gemessen am Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, der jedoch nie genau gleich lange wie der andere Tag ist. Dieses Argument könnte gegen Aristoteles‘ Zeitauffassung gewendet sein: „Die natürlichen Tage, welche gewöhnlich als Zeitmaße für gleich gehalten werden, sind nämlich eigentlich ungleich. Diese Ungleichheit verbessern die Astronomen, indem sie die Bewegung der Himmelskörper nach der richtigen Zeit messen. Es ist möglich, dass keine gleichförmige Bewegung existiere, durch welche die Zeit genau gemessen werden kann, alle Bewegungen können beschleunigt oder verzögert werden; allein der Verlauf der absoluten Zeit kann nicht geändert werden.“ (27) Newton bestimmt die absolute Zeit analog zum absoluten Ort: „Die Zeiten und die Räume sind die Orte ihrer selbst und aller Dinge“ (27). Newton scheint sich also die Zeit wie ein gewaltiges unveränderliches Gefäß vorzustellen, in dem sich alles Zeitliche ereignet.