Zusammenfassung: Medialität, Rationalität und Autonomie

Zu den „neuen“, digitalen Medien zählen vor allem Computerspiele (bzw. digitale Spiele), virtuelle Realität und Künstliche Intelligenz. Hier stellt sich die Frage, ob sich in ihrem Mediengebrauch gegenüber den „alten“ Medien Änderungen ergeben, die unsere Rationalität und Autonomie betreffen.

(1) Digitale Spiele

Das Spiel ist ein besonderes Medium. Wir sprechen davon, dass wir „auf“ einem Instrument spielen – hier verbinden sich nahtlos Medien- und Technikgebrauch –, und dass wir „mit“ etwas spielen, z.B. „mit“ oder „durch“ einen Computer. Digitale Spiele finden immer mehr Eingang in unseren Alltag – vor allem durch mobile Geräte wie Smartphones – und werden gleichermaßen von Männern wie Frauen genutzt (jeweils 54 Prozent in Deutschland, stand 2022). Friedrich Schiller hat darauf hingewiesen, dass die Praxis des Spielens eine anthropologische Grundtendenz darstellt. Offen bleibt hier, was Schiller genau unter „Spiel“ versteht, denn das Wort ist sehr vieldeutig. Zu denken ist neben Gesellschaftsspielen an das Schauspiel, aber auch an Spiele mit der Wirklichkeit, wie sie sich in literarischen Fiktionen finden. Inwiefern sind wir aber im Mediengebrauch des Spiels frei und autonom? Spiele ist keine gesetzlose Praxis, sondern unterliegt Regeln, auch wenn wir in vielen Spielen, wie etwa dem Fußball (etwa durch ein Foul), diese Regel bewusst brechen können, ohne dass dadurch das Spiel zerstört wird. Wir unterwerfen uns bewusst den Regeln eines Spiels, auch dann, wenn wir die Regeln brechen. Digitale Spiele nun erlauben es gegenüber physisch-medialen Brettspiele, mit den Regeln eines Spiels auf noch flexiblere Weise umzugehen bzw. dem Spiel eigene Regeln zu geben, etwa dann, wenn wir es so schnell wie möglich durchspielen wollen („Speedrun“), oder wenn wir es durch Zusatzprogramme modifizieren. Diese Interaktion mit dem Spiel selbst wird durch das Medium der Digitalisierung ermöglicht.

(2) Virtualität

Der Begriff der virtuellen Realität ist unklar. Zum einen kann darunter so etwas wie eine realistische, immersive Simulationstechnologie verstanden werden, zum andern so etwas wie eine Realität eigenen Rechts, die nicht physisch, sondern etwa digital existiert, wie etwa der Wert von Bitcoins. Virtuelle Realität, Geld, Digitalisierung und Spiel hängen eng miteinander zusammen. Virtuelle Realität lässt sich insbesondere durch die Technik und das Medium der Digitalisierung erzeugen. Oftmals, etwa im Metaversum, sind Spiele ein konstitutives Moment des Mediums. Auffällig ist, dass sich im Metaversum und auch in Multiplayer-Spielen oftmals eigene digitale Währungen finden, die gegen Geld erworben und wieder umgetauscht werden kann. Im Medium der virtuellen Realität spielen wir mit Simulation, Illusion, Fiktion und Realität. Durch den Prozess der Virtualisierung transferieren wir etwa analoge Prozesse und Dinge in digitale Medien. Ein Beispiel dafür ist etwa eine physische Bücherei, die wir zu einer virtuellen Bücherei transformieren können. Durch die digitale, virtuelle Form wird der ursprüngliche Zweck der Bücherei erhalten, ein Buchmedium für bestimmte Zeit sich zu leihen, es eröffnen sich damit aber auch neue Funktionen, wie etwa eine Textsuche oder eine automatisierte fristgerechte Rückgabe.

(3) Künstliche Intelligenz

Auch das Phänomen Künstlicher Intelligenz, insbesondere des maschinellen Lernens zeigt, dass hier Medium und Technik aufs Engste verwoben sind. Künstliche neuronale Netzwerke funktionieren empirisch, indem sie aus gewaltigen, ungeordneten Datenmengen („big data“) Muster abstrahieren. Diese Muster können akustische, grafische oder textuelle Daten betreffen. Dies führt zu erstaunlichen Ergebnissen, so dass wir etwas mit KI-basierten Chatbots Unterhaltungen führen können. Hier stellt sich nun allerdings die Frage, ob wir mit KI wirklich kommunizieren, oder ob die KI nicht nur eine Unterhaltung sehr realistisch simuliert. Tatsächlich sind Chatbots darauf trainiert, wahrscheinliche und realistische Aussagen zu produzieren, können diese Urteile aber nicht begründen und rechtfertigen. Gerade dadurch wird unser Mediengebrauch Künstlicher Intelligenz problematisch. Wir sind hier im Sinne medialer Mündigkeit dazu aufgefordert, zwischen Simulation, Illusion, Fiktion und Realität zu unterscheiden.

(4) Medialität und Rationalität

Die Vernunft ist nach Immanuel Kant das Vermögen der Zwecke. Die praktische Vernunft ist „ein Vermögen der Zwecke überhaupt“ (6:395). Sie „allein [ist] vermögend […], die Verknüpfung der Mittel mit ihren Absichten einzusehen (so daß man auch den Willen durch das Vermögen der Zwecke definieren könnte“ (5:58 f.) Die Vernunft ist nach Kant aber auch das Vermögen der Mittel, also der Grund unseres Mediengebrauchs: „Wer den Zweck will, will […] auch das dazu unentbehrlich notwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist.“ (4:417) Allerdings muss die Vernunft diese Mittel erst suchen und, sofern sie noch nicht existieren, erzeugen, so dass das Mittel zum Zweck selbst wieder zu einem Zweck wird, für den ein Mittel gesucht werden muss. Dadurch macht sich die Vernunft von Anderem abhängig. Sofern wir etwa schriftlich kommunizieren, unterliegen wir der von Platon kritisierten Fixierung der Schrift. Ein Medium zu gebrauchen, ist eine Form von Rationalität. Wir ‚übermitteln‘ (kommunizieren) dadurch etwas (nicht unbedingt sprachlich, nicht unbedingt an jemand anderes). Wir verfolgen und realisieren dadurch Zwecke (instrumentelle, ästhetische, moralische). Wir passen uns an etwas anderes an, indem wir uns dadurch ausdrücken. Wir objektivieren uns selbst und reflektieren uns damit.

(5) Medialität und Autonomie

Ein Medium zu gebrauchen, ist eine Form von Autonomie. Wir objektivieren und entäußern dabei subjektive Zustände wie etwa Wünsche, Zwecke, Emotionen, Absichten, Stimmungen. Indem wir unsere subjektiven Zustände objektivieren, können wir sie von einer höheren Ebene aus reflektieren und bewerten. Wir objektivieren und erweitern subjektive Zustände durch Technik. Wir assimilieren etwas anderes an uns und scheiben uns in es ein. Wir realisieren den Zweck durch das Mittel, auch wenn das Mittel oft hinter dem realisierten Zweck zurück tritt.

(6) Medialität und Heteronomie

Indem wir ein Medium gebrauchen, sind wir auf Fremdes angewiesen, das wir uns assimilieren. Dieses Fremde kann aber auch dazu führen, dass wir von ihm bestimmt werden. Wir bemerken oft nicht, dass wir es mit einem Medium zu tun haben. Wir sind „medienvergessen“ (Sybille Krämer). Medien drängen sich nicht auf, sondern sind unscheinbar. Wir bemerken oft nicht, dass wir medialen Bedingungen unterliegen oder ein Medium gebrauchen. Medialität vollzieht sich damit zwischen Autonomie und Heteronomie.

(7) Zur Antinomie der medialen Vernunft

Medialitäts-These (MT): Die Aktualisierung unserer rationalen Vermögen ist immer medial verfasst durch Mediengebrauch wie Sprache, Schrift, Bücher usw.
Unmündigkeits-These (UT): Durch Medien werden unsere rationalen Vermögen vermittelt und somit abhängig von fremden Faktoren.
Antinomie-These (AT): Wir sind in der Aktualisierung unserer rationalen Vermögen nicht autonom, sondern prinzipiell abhängig.

(8) Zur Kritik der medialen Vernunft

Wir müssen in unserem Vernunftgebrauch nicht nur die Zwecke, sondern auch die Mittel reflektieren. Diese Mittel müssen darauf hin kritisiert werden, ob sie latent dazu führen, dass die intendierten Zwecke verfehlt werden. Wir neigen dazu, die heteronome Eigenlogik der Mittel vor dem Hintergrund der Zwecke zu übersehen. Medienkritik ist daher auch immer Vernunftkritik.