Zusammenfassung: (Politische) Gerechtigkeit

Wie bei dem Begriff des (moralisch) Guten, so handelt es sich auch bei der (politischen) Gerechtigkeit um ein normatives Phänomen. Es geht um einen Zustand, der nicht nur beschrieben wird, sondern der gefordert (gesollt) wird. Allegorisch wird die Gerechtigkeit häufig durch eine Frau (Justitia) personifiziert, deren Augen verbunden sind (Unparteilichkeit, Unbeeinflussbarkeit), und die eine Waage in der Hand hält, mit denen sie ihr gerechtes Urteil durch Abwägen von Gründen ermittelt, und mit einem Schwert, durch die sie das Urteil fällt (und ggf. auch vollstreckt). Aus philosophischer Perspektive können wir folgende Fragen stellen: Was ist eigentlich (politische) Gerechtigkeit? Was macht unser Handeln gerecht? Welche (inter)subjektiven Strukturen fördern (und beeinträchtigen) Gerechtigkeit? Wie verhalten sich (Un)gerechtigkeit und (Un)gleichheit zueinander? Und schließlich: Wie verhalten sich Neid und Gerechtigkeit zueinander und wie Gerechtigkeit und Rechtfertigung?

Wir können verschiedene Bedeutungen von Gerechtigkeit unterscheiden. Zum einen handelt es sich bei Gerechtigkeit um eine Kardinaltugend, also eine erstrebenswerte und geforderte Charaktereigenschaft. Weitere Tugenden sind z.B. Mäßigung, Tapferkeit und Weisheit. Gerechtigkeit ist aber auch ein normativer und relationaler Begriff, der, anders als das moralische Gute, oft von bestimmten Situationen und Umständen abhängt. Unserem normativen Begriff von Gerechtigkeit liegt oft der Gedanke von Gleichheit zugrunde, die bewahrt oder hergestellt werden soll. Natürlich stellt sich hier die Frage, was wir in den Blick nehmen, wenn wir von Gleichheit sprechen. Wir können Gerechtigkeit über den Begriff der Fairness näher bestimmen. (Un)gerecht können nicht nur Personen oder ihre Handlungen sein, sondern auch soziale Strukturen und Institutionen. Der US-amerikanische Philosoph John Rawls (1921-2002) hat Gerechtigkeit über den Begriff der Fairness versucht genauer zu bestimmen. Er bestimmt Gerechtigkeit „als einen Komplex von drei Ideen“, „nämlich Freiheit, Gleichheit und Belohnung von Leistungen, die zum Gemeinwohl beitragen“. Rawls betont, dass es Personen sind, die gerecht oder ungerecht genannt werden können bzw. für die die „Prinzipien der Gerechtigkeit“ gelten. Zum einen individuelle Personen bzw. Menschen, zum andern aber auch kollektive Personen wie „Nationen, Provinzen, Wirtschaftsunternehmen, Kirchen oder Mannschaften“. Rawls konzipiert seinen Begriff von Gerechtigkeit gemäß seinem „Differenzprinzip“ so, „daß die Gesellschaftsordnung nur dann günstigere Aussichten für Bevorzugte einrichten und sichern darf, wenn das den weniger Begünstigten zum Vorteil gereicht.“ „Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu regeln, daß sie […] den am wenigsten Begünstigten die bestmöglichen Aussichten bringen“. Gegen Rawls hat Harry Frankfurt in seinem Buch „On Inequality“ den Gedanken der Gleichheit für eine Theorie der Gerechtigkeit kritisiert. Gegenüber der Idee, dass soziale Gerechtigkeit darin besteht, weniger ökonomische Ungleichheiten zu haben, argumentiert er, dass wir stattdessen Armut vermeiden sollten, so dass als eine Art Nebeneffekt auch Ungleichkeiten vermieden werden können.

Das Problem des Neides ist für die Frage nach der Gerechtigkeit besonders zentral. Man spricht oft von „Sozialneid“, der durch Ungleichheit oder Ungerechtigkeit ausgelöst wird. Wir müssen zwischen objektiver Gerechtigkeit und bloß subjektiver Rechtfertigung. Denn auch die (missgünstig-)neidische Person beruft sich in ihrem Neid auf das Prinzip der Gerechtigkeit. Ist der (missgünstige) Neid dann objektiv gerechtfertigt? Hier entsteht das Problem der subjektiven Rechtfertigung des Neides: Die (missgünstig) neidische Person kann sich nicht eingestehen, dass sie einer anderen Person in einer Hinsicht unterlegen ist. Deswegen rationalisiert sie die Situation so, dass die Überlegenheit der anderen Person (bzw. ihre eigene Unterlegenheit) ungerecht sei. (Missgünstiger) Neid ist also eine Form von Anerkennungsverweigerung und ist auf das Problem der Selbsttäuschung zurückzuführen: Wir merken oft nicht, dass wir neidisch sind und halten unseren Neid für gerechtfertigte Empörung (resentment) über objektiv bestehende Ungerechtigkeiten.