Martin Heidegger (1889-1976) bestimmt das Verhältnis von Existenz und Essenz auf eine gänzlich andere Weise als es die philosophische Tradition vor ihm getan hatte. Es geht ihm dabei um eine besondere Form von Existenz: das „Dasein“. Damit meint Heidegger unser je eigenes Sein bzw. unsere je eigene (individuelle) Existenz, die er mit dem neu geprägten Begriff der „Jemeinigkeit“ bezeichnet. Dasein ist dasjenige Seiende, dem es um sein Sein geht. Heidegger reserviert den Begriff der Existenz nur für das Dasein, während er die ‚Existenz‘ von Gegenständen in der Welt mit dem Begriff der „Vorhandenheit“ fasst. Das Dasein ist nicht gegenständlich in der Welt Vorkommendes bzw. Vorliegendes, sondern immer ein Selbst- und ein Welt-Verhältnis, also wesentlich relational verfasst. Heidegger bestimmt das Wesen (essentia) des Daseins aus seiner Existenz (existentia). Damit ist gemeint, dass das Dasein nicht von vorn herein bestimmt und festgelegt ist, was es ist. Das Dasein ist frei, kann sich selbst entwerfen. Deswegen bestimmt Heidegger das Wesen des Daseins als „Zu-sein“. Heidegger vertritt die These, dass die Existenz des Daseins seiner Essenz vorausgeht. Dies bedeutet, dass es sein Wesen, d.h. seine Bestimmung, immer wieder aufs Neue leisten und darin auch verfehlen kann. Sein und Existenz ist eine Aufgabe und ein Problem des Daseins, nicht ein bloßer Zustand, wie es bei Vorhandenem der Fall ist. Dasein ist nicht einfach, sondern hat zu sein. Das Dasein lässt sich nicht nach den traditionellen Kategorien des Aristoteles (Substanz, Qualität, Quantität, …) bestimmen. Das Dasein ist nicht als (beseelte) Substanz zu denken, die Eigenschaften hat. Vielmehr besitzt das Dasein verschiedene „mögliche Weisen zu sein“ (42). In seiner Existenz wechseln nicht seine äußerlichen Eigenschaften, sondern es wechselt sich selbst als ganzes in seinem freien Entwurf: „Das Seiende, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht, verhält sich zu seinem Sein als seiner eigensten Möglichkeit. Dasein ist je seine Möglichkeit und es »hat« sie nicht nur noch eigenschaftlich als ein Vorhandenes.“ (42) In seiner Existenz kann das Dasein zwei „Seinsmodi“ einnehmen, die Heidegger als „Eigentlichkeit“ und als „Uneigentlichkeit“ bestimmt. Heidegger nennt die ‚Kategorien‘, bzw. „Seinscharaktere“, mit denen das Dasein in seiner Existenz gegenüber dem bloß gegenständlich Vorhandenem in der Welt – wie Äpfel, Schränke und Löffel – bestimmt werden kann „Existenzialien“. Man fragt nach Vorhandenem mit „Was“, nach Existenz des Daseins hingegen mit „Wer“. Heidegger grenzt seine Daseinsanalytik von anderen Disziplinen wie der Psychologie, Anthropologie und Biologie ab. Das Dasein betrifft eine Struktur, die vor diesen Disziplinen liegt und nicht darauf reduziert werden kann. Wie können wir Heideggers Anti-Reduktionismus verstehen? Dasein ist ausgezeichnet durch „Jemeinigkeit“, also durch Subjektivität und Selbstbewusstsein. In der gegenwärtigen Philosophie des Geistes spricht man von „Qualia“, also irreduzibel subjektiven Phänomenen, die nur für das jeweilige Subjekt Geltung haben. Heidegger meint mit „Dasein“ jedoch nicht nur psychische Phänomene, sondern ontologische. Es geht ihm um die gesamte, irreduzible Existenz. Am ehesten lässt sich diese am Leitfaden der Freiheit verstehen. Wir sind nach Heidegger nicht prädeterminiert, sondern in jedem Moment frei, uns zu entwerfen, unseren Zielen zu entsprechen oder diese zu verfehlen.