Kants Transzendentalphilosophie

Immanuel Kants Philosophie versteht sich als eine „Transzendentalphilosophie“. „Transzendental“ bedeutet im Gegensatz zu „transzendent“, dass dabei die Grenzen unseres Wissens nicht überschritten werden, sondern vielmehr „unterschritten“, im Sinne der „Bedingung der Möglichkeit“ von Erkenntnis. Kant vertritt eine Philosophie im Sinne eines „transzendentalen Idealismus“. Die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis, u.a. Raum und Zeit, sind nicht „real“ im Sinne einer unabhängigen Existenz von unserer Subjektivität, sondern „ideal“ im Sinne ihrer Abhängigkeit von uns. Raum und Zeit sind gemäß dem transzendentalen Idealismus „subjektive Anschauungsformen“ aller möglichen Gegenstände der Erfahrung und damit auch prinzipiell der Erkenntnis. Sofern wir beim Versuch, zu erkennen, diese Anschauungsformen überschreiten, wie etwa bei einem ontologischen Gottesbeweis, wird unsere Erkenntnis transzendent und damit problematisch. Kants „kritische Philosophie“ ist insofern „kritisch“, als sie unsere Erkenntnisansprüche und Erkenntnisbedingungen im Sinne der transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit überprüft. Diese kritische Überprüfung gilt sowohl für unsere theoretische Vernunft wie auch für unsere praktische Vernunft, die unser moralisches Handeln betrifft. Unsere theoretische Vernunft wird transzendent, wenn sie die Grenzen möglicher Erfahrung in Raum und Zeit überschreitet. Deswegen kritisiert Kant auch aus theoretischer Hinsicht die reine Vernunft, da diese versucht, ohne empirische Bezüge in Raum und Zeit zu Erkenntnissen zu gelangen. Theoretische Erkenntnis ist nach Kant aber nur auf Basis von raumzeitlicher Erfahrung möglich. Anders verhält es sich hingegen mit der praktischen Vernunft. Im Zentrum steht dabei nicht mehr so sehr das Selbstbewusstsein, sondern der menschliche Wille, den Kant auch als „Begehrungsvermögen“ bezeichnet. Kants kritische Frage besteht nun darin zu überprüfen, wie wir aus reiner praktischer Vernunft handeln können, also gerade unabhängig von empirischer Erfahrung.

Kant betont in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785), dass das einzig absolut gute der gute Wille ist. Besondere Charaktereigenschaften, „Talente des Geistes“, wie etwa unsere Beharrlichkeit, können durchaus gut genannt werden, jedoch immer nur in einem instrumentellen Sinne, im Sinne des „gut für“ bzw. „gut zu“ etwas. Beharrlichkeit kann jedoch auch zu etwas Unmoralischem gebraucht werden, wie etwa im Falle eines genau geplanten Banküberfalls, bei dem die Beharrlichkeit auch zum Erfolg führen kann. Das damit erreichte „Gute“ ist jedoch nicht im moralischen Sinne gut, sondern nur im individuellen Sinne. Ob Beharrlichkeit moralisch gut ist, hängt davon ab, was für ein Wille bzw. was für eine Absicht ihr zugrunde liegt. Beharrlichkeit im Lindern menschlicher Not etwa ist moralisch gut zu nennen. Kant argumentiert, dass der Wille nicht durch seine Handlungen, die er bewirkt, moralisch gut zu nennen ist, sondern nur durch seine Motive. Dabei unterscheidet Kant zwischen dem Willen und dem bloßen Wunsch. Während wir viele Wünsche haben können, die sich teilweise auch widersprechen, besteht ein Wille immer in der „Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind“ (4:394). Ein Wille ist also immer entschieden, entschlossen und eindeutig. Es könnte aber der Fall eintreten, dass ein guter Wille aufgrund äußerer Umstände nicht zu einer Handlung führt. In diesem Fall wäre er nach Kant dennoch gut zu nennen. Er ähnelt damit einem Juwel, und seine Handlungen entsprechen nur der „Einfassung“ des Juwels, sind ihm also äußerlich. Der Wert des Willens bemisst sich an seiner Motivation, also seiner Einstellung, und nicht an seinen Konsequenzen, die wir nicht gänzlich in unserer Hand haben, und die wir auch nur schlecht antizipieren können. Deswegen ist Kant ein entschiedener Gegner des Konsequentialismus, der den moralischen Wert einer Handlung nicht an ihrer Motivation, sondern an ihren Folgen bemisst.

Kant bestimmt die Struktur des guten Willens als Pflicht bzw. als „Achtung fürs Gesetz“ (4:395). Eine moralische Handlung wird nicht durch Folgen der individuellen Neigungen zum Zweck der Glückseligkeit erreicht, sondern durch Orientierung am moralischen Gesetz, welches der kategorische Imperativ formuliert. Wir sollen so handeln, dass die Maxime unseres Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könnte. Eine Maxime ist ein subjektiver Handlungsgrundsatz, das „subjektive Prinzip des Wollens“ im Gegensatz zum „objektiven Prinzip“, welches das moralische Gesetz (bzw. das „Sittengesetz“) ist. Maximen sind relativ stabile Grundsatzentscheidungen der Art „Wenn ich mir etwas geliehen habe, gebe ich es wieder zurück, auch wenn der Eigentümer sich nicht mehr daran erinnert.“ Auf Basis von Maximen vollziehen wir konkrete Handlungen. Wir bewerten jedoch nach Kant nicht unsere Handlungen, sondern die subjektiven Handlungsgrundsätze, die diesen zugrunde liegen. Kant versteht unter „Autonomie“ unseren Willen, insofern er sich selbst (autos) das moralische Gesetz (nomos) gibt. Ein autonomer Wille ist dadurch ausgezeichnet, dass seine Maximen sich gemäß dem Sittengesetz verallgemeinern lassen. Heteronom ist ein Wille dagegen, wenn er „über sich selbst hinausgeht“ (4:441) und sich nach einem anderen Gesetz als dem Sittengesetz bestimmt.