Zusammenfassung: Hutcheson über den moralischen Sinn

Francis Hutcheson versteht den moralische Sinn (moral sense) im Sinne eines moralischen Wahrnehmungs- und Beurteilungsvermögens. Er unterscheidet die Wahrnehmungen (perceptions) des moralisch Guten und Bösen von den Wahrnehmungen des bloß Angenehmen und Unangenehmen. Dies setzt voraus, dass das moralisch Gute und Böse Objekte (objects) sind, die wir von außen wie Sinneseindrücke unmittelbar und direkt wahrnehmen. Hutcheson definiert den moralischen Sinn als „a Determination of the Mind, to receive any Idea from the Presence of an Object which occurs to us, independent on our Will” und „a Determination of our Minds to receive amiable or disagreeable Ideas of Actions, when they occur to our Observation, antecedent to any Opinions of Advantage or Loss to redound to our selves from them“. Hutcheson betont, dass der moralische Sinn nicht durch unseren Willen oder durch unser Interesse beeinflusst werden kann, ebenso wie auch unser Sinn für Schönheit, da hier nicht instrumentelle Nützlichkeitserwägungen eine Rolle spielen, sondern die Qualitäten gewissermaßen intrinsisch (absolut) ihre Bedeutung haben, und nicht erst mit Blick auf ein bestimmtes individuelles Ziel. Daraus folgt für Hutcheson, dass der moralische Sinn von subjektiven Zwecksetzungen unabhängig ist und eine Objektivität der moralischen Wahrnehmung und Beurteilung erlaubt. Der moralische Sinn vermag Handlungen zu beurteilen, ohne dabei auf Vorwissen angewiesen zu sein, d.h. er impliziert einen unmittelbaren Objektbezug, unabhängig von anderen Theorien und Interessen, worin eine gewisse Autonomie gelegen ist. Hutcheson argumentiert, dass bezüglich unseres moralischen Sinns keine individuellen Unterschiede existieren, so wie dies bei unserem Geschmacksinn der Fall ist. Durch diese Objektivität des moralischen Sinns liegt es nahe, ihn in ein Verhältnis zu unserer Vernunft zu bringen, die traditionell für besonders objektiv gehalten wird, da sie vor allem formale, und nicht empirische Sachverhalte betrifft. Hutcheson wirft die Frage auf, ob wir nicht alle unsere Sinne durch unsere Vernunft beurteilen und oft ihre Berichte über Größe, Gestalt, Farbe, Geschmack von Gegenständen korrigieren und sie für richtig oder falsch erklären, je nachdem sie mit der Vernunft übereinstimmen oder ihr widersprechen. Hutcheson gesteht dies zu, lehnt aber die Auffassung ab, dass die Vernunft dem moralischen Sinn vorausgeht und diesen fundiert. Denn die Vernunft ist nur ein formales Vermögen, welches ebenso nicht in der Lage ist, empirische Sinneswahrnehmungen wie Farbe und Geschmack objektiv zu beurteilen bzw. wahrzunehmen. Insofern ist die Vernunft dem moralischen Sinn nachgeordnet, da nur dieser ein adäquates materiales Verhältnis zu seinen Gegenständen herstellen kann.